Herr Behle, auf Ihrer rezenten CD singen Sie unbekannte Schubert-Arien. Wenn man diese Musik hört, drängt sich einem die Frage auf, warum diese Arien nicht oft gesungen werden, resp. ganz in Vergessenheit geraten sind?
Diese Musik klingt einfach und leicht und ist in ihrer Umsetzung doch äußerst heikel zu musizieren. Sie muss von der Seite des Sängers aus ohne Kitsch und Show präsentiert werden und in einer schlichten und ehrlich, schubertschen Erzählweise, manchmal aber auch – und das ist der Unterschied zum Lied – heldische Züge vermitteln. Manches ist erstaunlich dramatisch und verlangt einiges an Durchschlagskraft. Schuberts Helden sind dennoch verletzliche, vielschichtige Protagonisten und keine eindimensionalen Brüller oder Säusler. Diese sängerischen Schwierigkeiten und die Tatsache, dass seine Opern schlicht und einfach nicht fertig geworden sind, erschwerten sicher eine Entdeckung ihrer Qualitäten.
Was reizt Sie persönlich und natürlich gesanglich an diesen Arien?
Mir gefallen, wie gesagt, die Vielschichtigkeit, die Farbigkeit und eine gewisse Art von Italianità. Es steckt viel Donizetti in Schuberts Opernmusik. Deutsches ‘Belcanto’ sozusagen.
Sie haben die Aufnahme mit Michi Gaigg und dem Orfeo Barockorchester gemacht. Warum haben sie sich hier für ein historisches Instrumentarium als Begleitung entschieden?
Dieses Album mit dem Orfeo Barockorchester ist zu einem großen Teil auf das aussergewöhnliche Engagement von Christian Moritz-Bauer, dem Dramaturgen des Orchesters von Michi Gaigg, zurückzuführen. Wir haben uns 2013 bei den Salzburger Osterfestpielen kennengelernt, und er hatte die Idee zu so einem Programm an mich herangetragen. Da fast das gesamte Material neu gesichtet, eingerichtet und entdeckt werden musste, wollten wir bei soviel Neuem natürlich den Originalklang präsentieren.
Sie haben vor kurzen zum ersten Mal den Loge im ‘Ring’ gesungen. Wie bereiten Sie sich generell auf eine neue Opernrolle vor? Und wie entwickeln Sie die Charakterzeichnung?
Der Weg ist immer ähnlich. Man sichtet eine Partitur. Dann übt man die Musik, korrepetiert seine Rolle weitestgehend auswendig und hat darauf eine Produktion, wo während ca. 6 Wochen in Zusammenarbeit mit dem Regisseur die Charakterzeichnung entwickelt wird. Hat man die Partie in mehreren Produktionen gesungen, kommt irgendwann die Erleuchtung, wie es zu sein hat und wundert sich, dass man alles nicht gleich verstanden hat.
Wie gehen Sie beispielsweise die Figur des Loge an?
Den Loge gab es für mich ja erstmal nur in vier konzertanten Aufführungen. Da orientierte ich mich gezwungenermaßen an verschiedenen Einspielungen, wobei mir die wenigsten kompatibel zu meiner Stimme erschienen und ich schließlich zu dem Ergebnis kam, meinen eigenen Weg zu gehen. Ohne jegliche szenische Probenerfahrung geriet die Charakterzeichnung bei meinem Loge sicher noch zu flach. Dennoch war es ein tolles Aufwärmen für den Sommer. Da erwartet mich in Bayreuth mit David in den ‘Meistersingern’ ein intensiver Einstieg in die Gedankenwelt Richard Wagners.
Ist man als vielbeschäftigter Bach-Evangelist eigentlich für den Loge prädestiniert?
Ich würde mich jetzt nicht als vielbeschäftigten Evangelisten bezeichnen, obwohl ich gerade eine Europatour mit Thomas Hengelbrock hinter mir habe, denn die Pausen zwischen einzelnen Passionen sind oft lang und mein Fokus generell ein ganz anderer. Der Loge ist aber eine sehr dankbare und bunt anzulegende Partie. Eine gute Aussprache, ein gutes Deutsch im schnellen Parlando, wie bei Bach oft gefordert, hilft in seiner Darstellung aber ganz sicher.
Bachs Evangelist ist ja selbst eine sehr ungewöhnliche Figur, der sehr viel erzählt, dem aber keine wirklichen Arien zugeschrieben wurden. Was lernt man als Sänger von dieser Rolle?
Die gesamte Vokalmusik von Johann Sebastian Bach ist und war für mich immer mein wichtigster Stimmbarometer. Wenn ich stimmliche Probleme habe, kann ich mit ihr meine Stimme wieder ins Zentrum rücken. Manchmal dauert es länger, wenn man über einen gewissen Zeitraum zu schwer gesungen hat, aber oft reicht auch nur eine Session mit seiner Musik.
Loge ist ja eine Rolle, die schon immer von sehr unterschiedlichen Tenortypen gesungen wurde und wird. Früher wurde sie gerne mit älteren Heldentenören besetzt, heute singen sowohl die Heldentenöre wie auch die Charaktertenöre den Loge. Wie passt da ein lyrischer Tenor wie Daniel Behle hinein?
Ich habe Probleme mit diesen Schubladen. Sie suggerieren einem, dass ein Heldentenor unflexibel, ein Charaktertenor häßlich und ein lyrischer Tenor undramatisch singt. Wenn meine Stimme trägt und die jeweiligen Farben, die eine Rolle fordert, transportiert, spricht nichts dagegen diese nicht auch zu singen. Der Loge gibt einem Sänger die Möglichkeit ein breite Palette an Ausdrucksmöglichkeiten anzubieten. Je breiter die Möglichkeiten eines Sängers sind, umso interessanter. Aber das ist das Problem mit dem Singen von Wagner, dem ich mich, möchte ich in diesem Fach singen, stellen muss – die Anforderungen an die Tragfähigkeit einer Stimme sind enorm hoch und manchmal scheint es das einzige Kriterium zu sein. Phrasierung und Schönheit im Gesang in Wagners Musik, wo das Orchester weniger begleitenden Charakter hat, als z.B. in der italienischen Oper, und die Stimme in der vertikalen Melodiestruktur nur Teil eines Ganzen ist, wird weniger vermisst. Da sehe ich meine Herausforderung, ob man nicht beides zusammenbringen kann.
Wächst momentan eine neue Wagner-Generation heran und wie unterscheidet sie sich von den vorherigen?
Für die großen und schweren Wagnerpartien sollte man erfahrenere Kollegen engagieren, die sich in diesem Fach auskennen und es schon ein paar Jahre singen. Es braucht eine große körperliche Kraft, die man als junger Sänger ohne zu forcieren nicht hat. Im ‘Rheingold’ kann man sich aber eigentlich in keiner Rolle versingen. Deshalb ist hier eine jüngere Sängerauswahl völlig unproblematisch.
Was hat sich an der Wagner-Interpretation allgemein verändert?
Vielleicht geht der Trend hin zu einem durchsichtigeren Klangbild. Das käme allen Stimmen zugute und man müßte nicht dauernd am Anschlag singen und kämpfen um halbwegs gehört zu werden. Das wäre wohl im Sinne des Meisters. Nur gibt es nicht überall so eine sensationelle Akustik für dicke Instrumentierung im Orchester wie in Bayreuth. Dank der Muschelkonstruktion des Orchestergrabens muss man sich hier keine Sorgen machen. Konzertant ist romantische Opernmusik dagegen fast immer ein Problem für Sänger.
Heute Loge, morgen ein Abend mit arrangierten und selbstkomponierten Arien über Hamburg. Eben ist eine neue CD mit seltenen Schubert-Arien erschienen, davor haben sie Schuberts Winterreise in eigener Bearbeitung aufgenommen. Während viele Künstler sich heute spezialisieren, machen Sie quasi das Gegenteil und bedienen die ganze Brandbeite, wobei Sie auch die Operette nicht ausschließen.
Solange alles, was ich mache meinen eigenen Qualitätsansprüchen genügt und es dazu noch vielen Menschen Freude macht, sehe ich keinen Grund, mich spezialisieren zu müssen. Es gibt immer Kritiker, die einen mehr in der einen als in der anderen Richtung talentiert sehen wollen. Aber das interessiert mich nicht. Einige Intendanten winken mit Lohengrin und Florestan, andere mit Mozart und Gluck. Für mich ist das eigentlich eine luxuriöse Situation, in welcher ich alleine verantwortlich bin, wie sich meine Jahre beruflich gestalten. Ich bleibe als Künstler interessant und uneingeschränkt. Da folge ich sicher dem Beispiel meiner Mutter (Renate Behle, Anm. d. Red.), die erfolgreich Rossini neben Puccini und Wagner gesungen hat. So etwas ist, wie ich finde, sehr beeindruckend und selten.
Nach Loge debütieren Sie in diesem Sommer bei den Bayreuther Festspielen als David und Froh. Entwickelt sich Ihre Stimme nun in eine andere Richtung weiter? Ist das ein natürlicher oder eher ein erlernter Prozess?
Eine Stimme entwickelt sich mit gesunder Technik weiter und es werden kräftigere Partien im fortgeschrittenen Alter möglich. Die Schwierigkeit liegt sicherlich in der richtigen Einschätzung seiner stimmlichen Situation. Tipps und Ratschläge hole ich mir persönlich ausnahmslos von aktiven und erfahrenen Kollegen. Gerade hier in Bayreuth kann ich auf führende Wagnersänger schauen und von ihnen lernen bis ich mich genauso wohl fühle wie in den anderen Sparten, in denen ich schon mehr Erfahrung sammeln konnte.