Die Staatskapelle Dresden hat einen neuen prominenten Chefdirigenten. Nachfolger von Christian Thielemann ist mit Beginn der neuen Spielzeit Daniele Gatti. Erste Konzerte und jetzt schon eine zweite Tournee durch die (auch musikalische) Mitte Europas – u. a. mit Konzerten in München, Wien, Budapest, Luxemburg, Luzern und Amsterdam – lassen Schönstes erwarten. Michael Oehme berichtet.
Im Jahr 2000 gab es auf Einladung von Giuseppe Sinopoli die erste Begegnung von Daniele Gatti mit der Staatskapelle Dresden. Immer wieder war er hier in Konzerten und auch in der Oper zum Beispiel mit sensationellen Aufführungen von Verdis Falstaff präsent. Nun ist er mit Beginn der Spielzeit 2024/2025 der neue Chefdirigent dieses Orchesters. Ein kompletter Mahler-Zyklus und die Werke Robert Schumanns werden seine ersten Amtsjahre prägen. Im jüngsten Sinfoniekonzert in der Semperoper waren es das Violinkonzert und die zweite Sinfonie von Robert Schumann.
Als Solist stand Frank Peter Zimmermann auf dem Podium – Capell Virtuos der laufenden Spielzeit, ein Titel, der jeweils in einer Saison und an Zimmermann als erstem zum zweiten Mal vergeben wurde bzw. wird. Zimmermann und die Kapelle verbindet eine innige musikalische Freundschaft, die im Konzert durch und durch zu spüren war. Schumanns Spätwerk, das vielleicht schönste unbekannte Violinkonzert der Romantik kam in seiner völligen Natürlichkeit bei den Hörern an. Es als ‘deutsches’ Gegenstück zum e-Moll-Konzert des Juden Mendelssohn auszuspielen, wie es die Nazis bei der späten Uraufführung 1937 taten, entbehrte erneut jeder Berechtigung. In Dresden ist es immer wieder erklungen. Legendär ist die Aufnahme mit Ulf Hoelscher und Marek Janowski. Renaud Capuçon hat es hier unter der Leitung von Daniel Harding gespielt. Und wie Frank Peter Zimmermann aus dem beseelten langsamen Satz in die erdverbundene Polonaise des Finales hinüberführte, mit schönstem Ton auf seiner Stradivari 1711 Lady Inchiquin, klingt auch noch Tage in den Ohren nach.
Schumanns Zweite ist das vielleicht schönste sinfonische Glück unmittelbar nach Beethoven. Gatti und die Dresdner spielen die Sinfonie, als wären sie auf dem Olymp, absolut technisch souverän und überlegen. Das Scherzo dieser zweiten Schumanns, das wohl Heikeltes der Musikliteratur, ein perpetuum mobile ohne scheinbares Ende – in dieser fast unwirklich virtuosen Spielweise versetzt es in einen fast überirdischen Schwebezustand. Wärme und glühenden Glanz verströmt das Adagio espressivo, bevor die Bläser (herausragend Bernd Schober, Oboe und die Hörner um Zoltán Mácsai) zum Finale rufen. Gatti und die Kapelle widerlegen hier jedes Klischee von der angeblich mangelnden Instrumentationskunst Schumanns. Keine Stimme bleibt unterbelichtet. Tiefe und hohe Instrumente, dunkle und helle Farben tragen zu einem faszinierenden musikalischen Triumphzug bei. Besser geht es nicht.
Am Beginn des Konzerts stand das nur 10 Minuten kurze, aber nicht unerhebliche Orchesterstück Ciel d´hiver (Winterhimmel) von Kaija Saariaho. Die finnische Komponistin war ursprünglich für 2024/2025 als Capellcompositrice vorgesehen, aber im vergangenen Jahr unerwartet verstorben. Vor allem die hohen Bläser – Flöte, Klarinette und gedämpfte Trompete – tragen zu einer atmosphärisch dichten Stimmung bei, leuchtend und klirrend kalt zugleich. Wer einmal die Gelegenheit hatte, einen Tag oder eine Nacht nördlich des Polarkreises zu erleben, wird sich in der Musik von Kaija Saariaho wiederfinden, zumal wenn sie so fein ziseliert dargeboten wird wie von der Sächsischen Staatskapelle und ihrem neuen musikalischen Leiter.
Damit ist nach dem wehmütigen Abschied von Christian Thielemann Daniele Gatti in Dresden angekommen, hörbar im frenetischen Beifall des Publikums und sichtbar in der nicht selbstverständlichen Umarmung zwischen Chefdirigent und Konzertmeister Matthias Wollong.