Am Osterwochenende ging in Warschau das 22. Ludwig-van-Beethoven-Festival zu Ende. Die zweiwöchige, von Direktorin Elzbieta Penderecka initiierte und geführte Reihe mit insgesamt 18 Konzerten unter der Überschrift ‘Beethoven and Great Anniversaries’ widmete sich u.a. dem Schaffen der Komponisten-Jubilare Krzysztof Penderecki (85), Leonard Bernstein (100), Henryk Gorecki (85) und Claude Debussy (100. Todestag). Im Gespräch mit ‘Pizzicato’ zieht Musikpublizist und ICMA-Jury-Mitglied Martin Hoffmeister Bilanz.
Herr Hoffmeister, Sie besuchen das Beethoven-Festival in Warschau seit über zwei Jahrzehnten. Trägt die Fokussierung auf Beethovens Werk das Festival nach über 20 Jahren noch?
Die Konzentration auf Beethoven trägt nicht nur, sie ist Teil des Festivalerfolges.Beethoven bediente mit seinem umfassenden Werketableau alle Gattungen. Innerhalb der Gattungen lassen sich zudem bemerkenswerte stilistische Metamorphosen erkennen. Denken wir allein an die Klaviersonaten, die Streichquartette, Sinfonien, Trios oder Klavierkonzerte, an denen beispielhaft kompositorische Entwicklungsphasen abzulesen sind. Nur die Fokussierung auf den Komponisten ermöglicht dem Publikum, solche Details und Prozesse entsprechend nachvollziehen zu können. Das zum einen. Zum anderen eröffnet Beethovens jederzeit avanciertes Oeuvre zahllose Anknüpfungspunkte für sinnstiftende programmatische Kopplungen mit Musik, die beispielsweise im Barock, in Romantik, im 20. oder 21. Jahrhundert entstand. Musikhistorische Verbindungen und Entwicklungslinien werden deutlich. Vor diesem Hintergrund vermag Beethovens Werk Erkenntnis im übergreifenden Sinne zu stiften.
Der diesjährige Festivaljahrgang widmete sich neben Beethoven Komponisten wie Debussy, Bernstein, Gorecki oder Penderecki. Diese 2018er Jubilare stehen oder standen, ähnlich Beethoven, für stilistische Neuerungen und die stete Suche nach originären kompositorischen Ansätzen…
…zugleich hatten/haben alle angeführten Komponisten einen starken Bezug zur Tradition. Aus dem Bewusstsein für die Tradition war es ihnen möglich, sich abzugrenzen und neue Wege zu beschreiten.
In Zeiten zunehmender Globalisierung und der Verdichtung einschlägiger Festival-Angebote stehen die jeweiligen Veranstalter vor erheblichen Herausforderungen. Wie positioniert sich das Beethoven-Festival vor diesem Hintergrund?
Die von Elzbieta Penderecka verantwortete Reihe kann auf über 20 erfolgreiche und programmatisch konsistente Jahrgänge zurückblicken. Sowohl das außerordentlich kultur- und klassikaffine Warschauer Publikum als auch die zahllosen Festivalgäste aus aller Welt schätzen solche Kontinuität. Signifikant insbesondere, dass weder Festival-Dramaturgie noch Künstler-, Dirigenten- oder Orchestertableaus Konzessionen an Zeitgeist und Moden geschuldet sind, sondern ausschließlich inhaltlicher Balance und Schlüssigkeit. Es ging stets darum, ein Gleichgewicht zu etablieren zwischen renommierten Altmeistern und Musiker-Nachwuchs, zwischen bekannten und unbekannten Interpreten, zwischen Repertoirekanon und –Nischen, nicht zuletzt zwischen polnischen und internationalen Künstler-, Dirigenten- und Ensemble-Settings.
Welcher Stellenwert kommt der polnischen Klassikszene und deren Protagonisten beim Beethoven-Festival zu?
Das Festival hat sich immer auch als Botschafter Polens in der Welt verstanden. Insofern spielen polnische Interpreten immer eine explizite Rolle. Besonders die Gäste aus anderen Ländern haben so alljährlich die Möglichkeit, sich ein Bild zu machen von der reichen und vielgesichtigen polnischen Musiker-, Ensemble- und Komponistenszene. Zentrale Leitmotive von Beethovens Schaffen waren ja Humanismus und nationenübergreifender Austausch, die Transzendierung des Politischen auch durch Kunst und Musik. Genau das leistet das Festival, indem es nicht nur Musiker aus aller Welt zusammenführt, sondern auch Publika unterschiedlicher Provenienz.
Ein Blick auf die internationale Festivalszene lässt seit einigen Jahren deutlich veränderte Publikumserwartungen erkennen. Nicht wenige Besucher suchen über die Musik hinaus nach Mehrwerten…
Richtig. Immer mehr Festivalbesucher erwarten dieses Musik ‚plus’… Das können Landschafts- oder Stadterfahrungen ebenso sein wie kulinarische Höhepunkte, exzellente Hotellerie oder gesellschaftliche Aspekte. Mit dieser Tatsache muss sich heute jeder Veranstalter auseinandersetzen. Hinzu kommt die komplexe Suche nach Sponsoren und kommunalen bzw. staatlichen Subventionen. Das ist der Rahmen, das sind die Bedingungen, vor denen Festivals in diesen Tagen agieren. Unterm Strich entscheidend für den Erfolg von Festivals sind allerdings die Alleinstellungsmerkmale – programmatisch wie auratisch.
Wie kann man die ästhetisch-konzeptionell-programmatisch-philosophische Kernidee der Warschauer Reihe umreißen?
Im Mittelpunkt stehen Austausch, Intensität und kreative Reibung. Das betrifft das Gegenüber von Musikern und Werken ebenso wie die Begegnung von nationalen und internationalen Gästen im Rahmen des Festivals. Es geht prinzipiell um inspirierende künstlerische wie gesellschaftliche Spannungsfelder, es geht um die erkenntniszeitigende Konfrontation heterogener Stilistiken, Atmosphären, Erfahrungen, Hintergründe und Provenienzen: Was geschieht, wenn Beethoven auf Debussy, Penderecki auf Bernstein oder Szymanowski auf Chopin, was, wenn einer der profiliertesten polnischen Pianisten (Konrad Skolarski) auf die ‘Israel Camerata Jerusalem’, ein Hauptwerk Pendereckis auf eines Goreckis treffen? Was geschieht, wenn im Anschluss an Konzerte Diplomaten, Unternehmer, Kritiker, Journalisten, kirchliche Würdenträger, Sponsoren, Politiker, Kulturprotagonisten und Musiker von verschiedenen Kontinenten sich verständigen über die Lesart einer späten Beethoven-Sonate, die Raumakustik in der Warschauer Nationalphilharmonie oder die aktuelle politische Lage? Antworten auf diese und andere Fragen geben das Beethoven-Festival, dessen Verantwortliche, die Künstler und Besucher von Jahr zu Jahr auf spannende Weise neu.
Welche Konzerte markierten Höhepunkte im Festivaljahrgang 2018?
Als besonders eindrückliche Abende erwiesen sich die beiden Auftaktkonzerte mit der Kopplung von Beethovens 3. und Bernsteins 2. Sinfonie ‘The Age of Anxiety’. Insbesondere Krystian Zimermans luzid-virtuose Ausleuchtung der Bernstein-Partitur an der Seite der ‘Warschauer Philharmoniker’ unter Jacek Kaspszyk wusste Maßstäbe zu setzen ebenso wie Anne-Sophie Mutters nuancenreiche und spannungsgesättigte Exegese des Beethoven’schen Violinkonzert am Folgetag, begleitet vom umsichtig und detailgenau agierenden Dirigenten Cristian Macelaru am Pult des ‘Nationalen Polnischen Radiosinfonieorchester Kattowitz’. Beispielhaft überdies das Mozart-Schubert-Beethoven-Rezital des Wieners Rudolf Buchbinder, dessen pianistischer Aristokratismus Clarté, Purismus, Übersicht, Anschlagsraffinement und motorischen Drive sinnstiftend vereinte oder Krzysztof Pendereckis eindringliche, berührend-authentische Lesart seines ‘Polnisches Requiem’. Mit eminenter Spielkultur und Präzision vermochte überdies das ‘Buffalo Philharmonic Orchester’ unter Chefdirigentin JoAnn Falletta für sich einzunehmen. Das Werke-Tableau umfasste Samuel Barbers selten aufgeführte 1. Sinfonie, Gershwins Klavierkonzert in F wie Bernsteins ‚Symphonische Tänze’ sowie das Adagio aus Pendereckis 3. Symphonie. Das von Falletta seit 1999 geformte Ensemble operiert in puncto Homogenität, Beweglichkeit und Repertoirespektrum auf einer Ebene mit europäischen Spitzenklangkörpern.
Erwähnt werden soll am Ende, pars pro toto für die originäre Programmatik des Festivals, das Konzert der ‘Jungen Deutschen Philharmonie’ unter David Afkham und dem Solisten Steven Isserlis. Avancierter und vielsagender als mit Messiaens ‘Les Offrandes oubliées’, Dutilleux’ ‘Tout un monde lointain’ und Berlioz’ ‘Symphonie fantastique’ lässt sich ein rein französisches Tableau kaum gestalten.
Weitere Informationen unter: www.beethoven.org.pl