Rafael Kubelik (1914-1996) war der Sohn des Geigers Jan Kubelik. Er studierte am Prager Konservatorium Violine, Dirigieren und Komposition. 1948 verließ er seine Heimat und wirkte in den USA und in London. Von 1961 bis 1979 war er Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. 1973 erwarb er die Schweizer Staatsbürgerschaft.
Kubelik gilt auch heute noch vor allem als Spezialist für tschechische Komponisten. Wie gut er aber auch andere Komponisten dirigierte, und nicht nur Mahler, von dem er ja alle Symphonien aufgenommen hat, das zeigt diese Box, mit der Orfeo diesen immer noch unterschätzten Dirigenten ehrt.
Der Reihe nach: Haydns 99. Symphonie wir sehr lebendig musiziert, ohne irgendwelchen Mehrwert. Auf Mozarts etwas schlampig artikulierte 25. Symphonie hätte man verzichten können. Da stellt das Ohr heute doch andere Ansprüche als 1981. In der Prager Symphonie überrascht ein ungemein schnell und quirlig gespieltes Presto.
Ereignishaft ist die Interpretation der 40. Symphonie KV 550, die Kubelik, dem Moll-Charakter entsprechend, sehr schwermütig und schmerzvoll dirigiert.
Wie schon die bei Pentatone erschienene Aufnahme mit demselben Orchester und bis auf Helen Donath anderen Solisten ist Beethovens Neunte Symphonie absolut hörenswert in der Kubelik-Interpretation. Wie in der Pentatone-Einspielung von 1975 startet er den ersten Satz eher entspannt, aber den zweiten Satz nimmt er hier viel schneller (11’57 gegen 12’20). Das Adagio wird sehr gefühlvoll dirigiert, aber etwas flüssiger als 1975. Das Finale dirigiert Kubelik zupackend, aber etwas breiter als der Aufnahme von 1975.
Das Vokalquartett profitiert von der leuchtenden Sopranstimme von Helen Donath, der reichen Mezzostimme von Brigitte Fassbaender, dem kräftigen, kernigen Bass von Hans Sotin, während der Tenor Horst Laubenthal mit einem leicht näselnden Gesang abfällt. Der Chor des Bayerischen Rundfunks ist hervorragend.
Die Aufnahmen der vier Brahms-Symphonien sind sehr gut, flüssig, detailreich und fallen auch vor allem in den langsamen Sätzen durch sehr reflektive oder auch besonders gefühlvolle Passagen auf.
Die Dvorak-Symphonien 6-9 und die Streicherserenade sind absolute Höhepunkte dieser Box und ebenso gut wie die aus dem gesamten Symphonienzyklus, den Kubelik mit den Berliner Philharmonikern für DG aufgenommen hat. Ihre authentische Atmosphäre, ihre unvergleichlichen Farben, ihr Detailreichtum, ihre Frische und Kraft vermitteln ein Gefühl von böhmischer Naturmusik, bei der man sich einfach wohlfühlen muss.
Von Bruckners Achter Symphonie hat Orfeo die alte Monoaufnahme von 1963 in diese Box aufgenommen. Zu Recht, denn es ist eine großartige Aufnahme. Insgesamt frisch und frei von Pathos erlangt sie ihren Wert insbesondere durch ein wunderbar inspiriertes, verinnerlichtes Adagio. Nicht weniger gut ist die 1985 aufgezeichnete Neunte Symphonie.
Die Aufnahme der Symphonie Fantastique und der Ouvertüre Le Corsaire von Hector Berlioz sind typisch für Kubeliks immer vitales und jede Schwere vermeidendes Dirigieren, seine erfrischende Natürlichkeit und sein phänomenaler Sinn für Klangfarben im Orchester.
Smetanas großer Zyklus von sechs Tongedichten, Má Vlast (Mein Vaterland), war für Rafael Kubelik, der 42 Jahre, von 1948 bis 1990, keinen Fuß in sein Heimatland setzte, von besonderer Bedeutung. Kubelik verbindet hier Herz mit Verstand, Lyrismus mit Dramatik und Spannung, Raffinement und Klangschönheit in einer absolut großartigen Weise. Die natürliche, pathosfreie Eloquenz dieser Aufnahmen ist faszinierend.
Einzigartig in ihrer unbekümmerten Frische, Leichtigkeit und Vitalität ist Janaceks Sinfonietta. Das ist ein weiterer Höhepunkt dieser Zusammenstellung.
Mit hervorragenden Einspielungen von Hartmanns Symphonischen Hymnen, Bartoks Musik für Saiteninstrumente Schlagzeug und Celesta sowie vom Konzert für Orchester geht ein Programm zu Ende, das Kubeliks Talent ins rechte Licht rückt.
Kubeliks Münchner Aufnahme von Bartoks Konzert für Orchester ist nicht so scharf und somit etwas wärmer als seine bei Pentatone erschienene Aufnahme aus Boston, aber sie ist spannungsgeladen, detailreich und effektvoll. Für eine Gänsehaut sorgt das Misterioso der Elegia, und das Intermezzo wirkt seltsam verstörend. Das Finale beschließt rasant und kontrastvoll ein Werk, das bei Kubelik zu einer ausdrucksvollen musikalischen Beschreibung der Krise wird, in der sich der Komponist befand, als er dieses Werk komponierte.