Ob man den Begriff ‘Star’ für eine Person in einer Zeit, die schon deutlich mehr als hundert, beinahe bis zu zweihundert Jahre zurückliegt, anwenden möchte, mag man bedenken. Aber Friedrich Gernsheim war während seines Lebens ein hoch geachteter Künstler und dank seiner Gabe, Kontakte zu begründen und zu pflegen, hoch angesehener Musiker, dessen Werk zahlreich aufgeführt wurde. Von Worms über Mainz und Frankfurt kam er nach Leipzig und Paris, wo er schon als Jugendlicher ausgebildet und in den Musikkreisen eingeführt war. Später hat er leitende Positionen in Rotterdam und Berlin inne.
Sein symphonisches und sein kammermusikalisches Schaffen machen den zentralen Platz in seinem Oeuvre aus. Seine stilistische Zuordnung ist eigenständig, Brahms näher als Wagner, aber eben persönlich. Das Diogenes Quartett setzt sich schon seit langem für ihn ein. Es legt mit zwei der fünf Streichquartette nun ein neues Angebot aus dem Schaffen vor, das noch fortgesetzt werden wird. Gernsheim hat die Quartette als Einzelwerke über sein kompositorisches Leben verteilt erschaffen. Das Diogenes Quartett hat mit dem ersten und dem dritten nun den Anfang gemacht, nachdem es schon Klavierquartette und der Primgeiger des Quartetts zusammen mit seinem Bruder die Violinsonaten eingespielt hatte.
Die große Liebe zu diesem Komponisten wird in den hinreißenden Interpretationen verdeutlicht, die dem Hörer mit Vehemenz ans Herz gelegt werden. Dabei können die vier Musiker aus ihrem mehr als zwanzigjährigen gemeinsamen Weg schöpfen, um ihr persönliches instrumentales Können und ihr schlafwandlerisch sicheres Zusammenspiel zu einem lebendigen und ausdrucksvollen Musikerlebnis zu verbinden.
Die zwei eigenständigen Werke sind voll musikalischer Schönheiten, die sich durch ihre sehr klare und konsequent durchgestaltete strukturelle Anlage entfalten. Das Quartett bringt die Klangschönheit und Melodienfülle der beiden Quartette überzeugend zur Geltung.