Beim deutschen Label Cavi ist ein Janacek-Album mit der luxemburgischen Pianistin Cathy Krier veröffentlicht worden. In dem folgenden Gespräch von Alain Steffen mit der jungen Pianistin ist die Rede von diesem anspruchsvollen Projekt.
Ihr Janacek-Album ist das Resultat eines ganz besonderen Projekts.
Ja, dieses Janacek-Projekt wurde von der ‘Fondation Biermans-Lapôtre’ in Zusammenarbeit mit der Luxemburger ‘Mission Culturelle’ in Frankreich in Form einer Residenz ins Leben gerufen. Diese Pariser Residenz soll es jungen luxemburgischen Künstlern ermöglichen, während drei Monaten intensiv an ihrem Projekt zu arbeiten, Networking zu betreiben und Fachleute im Rahmen dieses Projektes kennen zu lernen. Ich bin die erste Künstlerin, die an dieser ganz neuen Initiative teilnahm. Nach einem Konzert im Goethe-Institut sind die Verantwortlichen auf mich zugekommen und haben mich für diese erste Residenz nach Paris eingeladen. Und diese Einladung kam für mich gerade zum richtigen Zeitpunkt. Nach meiner ersten CD-Aufnahme waren bereits einige Jahre vergangen, und ich war dabei, Pläne für eine zweite CD zu schmieden. Mein Repertoire hatte sich in dieser Zeit weiterentwickelt und mein Wunschkomponist war schnell gefunden. Seit jeher nimmt die Musik von Leos Janacek einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Eine CD mit Klavierstücken von Janacek zu machen, ergibt auch Sinn, gerade eben weil sein Werk auf CD nicht überrepräsentiert ist. Was nützt es einem jungen Künstler heute noch, die x-te Aufnahme eines Debussy-Stückes oder einer Beethoven-Sonate zu machen?“
Welche besonderen Anforderungen stellen denn die Klavierstücke von Janacek an den Interpreten? Welche Charakteristika zeichnen ihn aus?
Janacek ist erst einmal ein Komponist, den man nicht so richtig einschätzen kann und der nicht den sonst üblichen Klischees entspricht. Milan Kundera bezeichnet ihn als einen ‘Meteoriten in der Geschichte der Musik’. Diese Einmaligkeit ist mir erst aber im Laufe dieses Projektes so richtig bewusst geworden. Vorher hatte ich immer eine besondere Affinität zu Janaceks Musik, warum sie mich allerdings so berührt hat, habe ich damals nie hinterfragt. Janacek wurde im Jahre 1854 geboren, vor Puccini, vor Mahler und vor Strauss, also in einer Zeit, wo die Romantik ihren Höhepunkt erreichte. Und doch ist Janaceks Musik in keiner Weise romantisch, obwohl sie von vielen Interpreten romantisiert wird. Wenn man seine Briefe liest oder die Ratschläge in Betracht zieht, die er seinen Schülern gegeben hat, so merkt man schnell, dass Janaceks Äußerungen immer nur auf das Wesentliche in der Musik gerichtet sind. Er will keine Verschnörkelungen, keine oberflächlichen Verschönerungen; nur das Elementare der Musik steht im Mittelpunkt. Und mit dieser doch sehr modernen Haltung war Janacek seiner Zeit weit voraus. Eine Ansicht, die meinem Empfinden sehr entgegen kommt. Und ich glaube, gerade diese Haltung beim Spiel ermöglicht uns, eine ganz neue Authentizität bei Janacek zu entdecken.
Und wie äußert sich diese neue Authentizität?
Wenn man Janaceks Wunsch berücksichtigt und sich wirklich nur dem Elementaren widmet, dann öffnet sich dem Interpreten und auch dem Hörer eine ganz neue Welt mit kleinen, feinen Strukturen, sehr klaren und manchmal sogar recht heftig auftretende Stimmungsänderungen innerhalb eines Stückes und, ja, sogar eine Form von Brutalität. Er ist bis jetzt der einzige Komponist, bei dem ich in der Partitur die Bezeichnung ‘con durezza’, also ‘mit Härte’, entdeckt habe. Je mehr ich mich mit seiner Musik auseinandergesetzt habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass es ihm nicht darum ging, eine schöne Musik zu schreiben, sondern viel mehr eine authentische und ausdrucksstarke, allerdings in einer sehr klaren und kondensierten Form. Im Laufe dieses Arbeitsprozesses ist mir dann auch bewusst geworden, dass dies meiner persönlichen Empfindung von Musik eigentlich sehr nahe kommt. Und je mehr ich in seine Werke eingetaucht bin, umso näher ist Janacek an mich herangerückt.
Finden sich diese Charakteristika, die Sie beschreiben, auch in anderen seiner Werkgattungen?
Auf jeden Fall! Schauen sie, Janaceks Opern, seine Streichquartette, ja sogar seine Tänze sind von einer ungeheuren Modernität. Und was vor allem immer wieder verblüfft, ist die Tatsache, dass seine Musik komplett neu und einzigartig ist. Man hat eigentlich nie das Gefühl, dass er von anderen Komponisten beeinflusst worden ist, und somit führt er die Linie Dvorak-Smetana, deren Musik Janacek sehr bewunderte, auch nicht weiter. Das wird eher Martinu übernehmen. Auf der anderen Seite scheint er aber auch keinen anderen Komponisten wirklich beeinflusst zu haben. Janaceks Musik bleibt somit einzigartig und es ist auch diese Einzigartigkeit, die mich an ihm fasziniert. Doch zurück zu Ihrer Frage. Janacek hat seine Klavierwerke relativ früh komponiert und hier bereits den Weg für sein späteres Schaffen vorbereitet. Sie klingen zwar für die damalige Zeit recht modern, und manchmal sogar atonal, sind aber mit der Sprache der späteren Werke nicht zu vergleichen, obwohl, wie ich schon sagte, die Grundsteine für die Entwicklung gelegt waren. Die meisten seiner Klavierwerke entstanden zwischen 1880 und 1912, die beiden Streichquartette 1923 und 1928, seine späten Opern ‘Katja Kabanowa’, ‘Das schlaue Füchslein’ und ‘Aus einem Totenhaus’ Mitte bis Ende der Zwanzigerjahre.
Osteuropäische Komponisten berufen sich in ihrer Musik gerne auf die Volksmusik. Wie ist denn Janacek, dessen Musik sich ja von der eines Smetana und Dvorak distanziert, mit den tschechischen Volksmelodien umgegangen?
Wie Bela Bartok in Ungarn hat Janacek slawische Volksmusik aufgeschrieben. Sie dient allerdings hauptsächlich als Ausgangspunkt für komplett neue und eigenständige Kompositionen. Wichtig ist natürlich auch die tschechische Sprache, die sehr oft den Rhythmus seiner Musik bestimmt. Diese raue tschechische Sprache, die an sich nicht besonders melodisch ist, gehört zum Gesamtkonzept von Janaceks Musik einfach dazu. Das muss man auch in seinen Klavierwerken berücksichtigen. Genauso, wie die Entromantisierung. Dadurch hat Janaceks Musik bis heute nichts an Reiz und Modernität eingebüßt.
A propos Modernität. Teilt Janacek, obwohl er früher gelebt hat, hier vielleicht auch etwas das Schicksal der Komponisten der Moderne und der Gegenwart?
Zum Teil, ganz sicher. Aber man braucht gar nicht so weit nach vorn zu schauen. Im 20. Jahrhundert gibt es eine Menge Komponisten und Werke, die einfach zu unbequem sind, um ihren Platz im Konzertrepertoire zu finden. Das gilt für Kurtag ebenso wie für Sandor Veress und Bartok, von dem viele Werke quasi nie gespielt werden. Und es gibt noch so viele andere. Und darin sehe ich auch die Herausforderung an uns Interpreten von heute. Wir haben einerseits die Pflicht, die Musik unserer Zeit und unserer Komponisten zu spielen, andererseits ist es aber auch unsere Aufgabe, auch die vernachlässigte Musik des 20. Jahrhunderts wieder in die Konzertsäle zu holen oder sie auf CD herauszubringen. Das heiß jetzt nicht, dass wir die großen Klassiker nicht mehr spielen sollen, aber unsere Generation soll in Sachen Programmauswahl doch bitte etwas mehr Mut aufbringen.
Und aus diesen Überlegungen ist dann die Idee entstanden, für dieses Projekt die Klavierwerke von Leos Janacek einzuspielen.
Ja, an sich war es ein ganz natürlicher Vorgang, und ich hatte selbst nie das Gefühl, für dieses Projekt jetzt krampfhaft nach etwas Besonderem suchen zu müssen. Der Zeitpunkt war genau richtig und alles fügte sich so, wie es sein sollte. Am Anfang hatte ich nicht geglaubt, dass Janaceks Werk so umfangreich war. Und je mehr ich mich auch mit den weniger bekannten Stücken auseinander gesetzt habe, desto faszinierender wurde diese Entdeckungsreise für mich, auch wenn viele Jugendwerke nicht die Qualität besitzen wie ‘Im Nebel’ oder ‘Auf verwunschenen Pfaden’. Ich habe mich dann auch mit einem Schweizer Musikwissenschaftler in Verbindung gesetzt, der international als wirklicher Spezialist für die Musik Janaceks gilt. Nach den Gesprächen haben wir uns dafür entschieden, dass ich die schwachen Werke nicht berücksichtigen würde, weil sie als Frühwerke gar nichts zum Ruhme Janaceks beitragen würden. Und hier die Entscheidung zu treffen, ob ein Werk in diese Produktion aufgenommen werden soll oder nicht, war oft gar nicht so einfach. Es gibt da z.B. sehr frühe Variationen, die er als junger Mann im Stile Mendelssohns für seine Frau komponiert hatte. Wenn es auch kein typischer Janacek ist, so ist die Komposition doch sehr gut geschrieben. Und sie zeigt sehr gut, wie Janacek sich innerhalb von zwanzig Jahren als Komponist weiterentwickelt hat. Deshalb wird sie bei der Aufnahme berücksichtigt. Ein Stück wie Musik für Gymnastikübungen, das er für ein Gymnastikturnier in Brünn komponiert hatte, ist, wie wir unter Musikern sagen, ‘eine Mucke’, also ein Stück, was nur komponiert wurde, um schnelles Geld zu verdienen. Das hat mit Kunst nichts am Hut und hat für mein Gefühl auch auf einer CD nichts verloren.
Es wird also eher eine repräsentative Produktion werden, wo nur qualitativ hochwertige Werke zu finden sind.
Als Musikerin habe ich natürlich die Pflicht, dem Komponisten zu dienen und dem Publikum seine einmalige Kunst und nicht minderwertige Werke zu vermitteln. Aus musikhistorischer Sicht mögen diese unwichtigen Kompositionen vielleicht interessant sein, für uns Pianisten und vor allem für den Hörer sind sie in meinen Augen überflüssig. Ich habe seine beiden großen Zyklen ‘Im Nebel’ und ‘Auf verwunschenen Pfaden’ natürlich aufgenommen, was für ‘Auf verwunschenen Pfaden bedeutet, dass ich die dreiteilige Fassung eingespielt habe und nicht, wie viele Kollegen, mich nur auf zwei Teile beschränke. Dann die Sonate, die Variationen, seine Volkslieder, allerdings ohne Text, die Miniaturen und eine Auswahl der achtzig Volkstänze. Gerade hier ist es sehr wichtig, aus diesen Tänzen eine repräsentative Auswahl zu treffen, denn sie haben Janacek durch sein ganzes Schaffen hindurch begleitet und beeinflusst.
Inwieweit haben denn nun diese Forschungen Ihr Janacek-Bild verändert?
Ich habe sehr viel über den Menschen Janacek erfahren, über seine Art zu denken, zu fühlen zu komponieren. Ich konnte ihn viel besser in ein soziales und kulturelles Umfeld einordnen und habe so manche Zusammenhänge und Querverbindungen besser verstanden. Was aber interessant ist: Trotz aller Forschungsarbeit und Analyse, der Prozess der Gestaltung bleibt immer intuitiv. Wir dürfen nicht den Fehler machen, ein Frühwerk mit unserem heutigen Wissen anzugehen. Wenn man zu viel weiß, ist es enorm schwierig, sich auf die Musik einzulassen, weil man eben die späteren Werke und somit die Entwicklung des Komponisten kennt und dann Gefahr läuft, ein Werk aus unserer Gegenwart heraus zu interpretieren. Eine Interpretation soll zwar fundiert und intelligent sein, muss aber immer intuitiv bleiben.
Besteht aber nicht die Gefahr, dass man gerade bei einer so intensiven Beschäftigung, wie das bei Ihnen mit dem Werk von Leos Janacek der Fall war, riskiert, sich irgendwann zu verlieren und so die Bezüge nicht mehr objektiv deuten kann?
Ich hatte das Glück, die Musik von Janacek schon jahrelang in meinem Gepäck zu haben. Somit war diese Welt nicht neu für mich. Ich konnte meine Arbeit während es ganzen Projektes in Paris wohldosiert angehen. Natürlich habe ich mich intensiv mit seiner Musik beschäftigt, aber nicht nur. Ich habe mir während der drei Monate genug Raum und Zeit für andere Einflüsse gelassen. Wir haben uns deshalb bewusst dafür entschieden, die Aufnahme nicht sofort zu machen, sondern uns einige Wochen Zeit zu lassen. Es war wichtig für mich, vor der CD-Produktion wieder eine gesunde Distanz zu Janacek zu finden. Sonst riskiert man, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen. Gerade in dieser gesunden Distanz liegt das Geheimnis einer guten Interpretation.
CATHY KRIER – BIOGRAPHIE
Cathy Krier, 1985 in Luxemburg geboren, begann schon im Alter von fünf Jahren ihr Klavierstudium am Luxemburger Konservatorium. Ab 1999 gehörte sie der Meisterklasse von Prof. Pavel Gililov an der Hochschule für Musik und Tanz Köln an. Im Jahr 2000 spielte sie Ludwig van Beethovens Klavierkonzert in G-Dur mit dem ‘Latvian Philharmonic Chamber Orchestra’ unter der Leitung von Carlo Jans ein. 2008 erschien ihre erste CD mit Solowerken von Scarlatti, Haydn, Chopin, Dutilleux und Müllenbach.
Cathy Krier ist Preisträgerin mehrerer Wettbewerbe und Stipendien. 2003 verlieh ihr die Jeunesses Musicales du Luxembourg den ‘Prix Norbert Stelmes’. Ein Jahr später erhielt sie den Preis der Stiftung IKB International.
Anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten der Philharmonie Luxemburg 2005, spielte Cathy Krier gemeinsam mit dem Pianisten Cyprien Katsaris vierhändig. Ein Jahr später trat sie beim Klavier-Festival Ruhr auf, indem sie eine Einladung zum Meisterkurs von Prof. Robert Levin annahm.
Weitere Meisterkurse bei Dominique Merlet, Homero Francesch und Andrea Lucchesini, bei dem sie ihre Studien an der ‘Scuola di Musica di Fiesole’ fortsetzte, sowie eine Einladung an die ‘Académie musicale de Villecroze’ ergänzten ihre musikalische Ausbildung.
2007 beteiligte sie sich an der feierlichen Eröffnung des Kulturjahres in Luxemburg, wo sie regelmäßig im Rahmen des Festival International Echternach, des Festival de Bourglinster und des Festival ‘Musek am Syrdall’ auftritt. Ihre Konzerttätigkeiten führten Cathy Krier sowohl in die Vereinigten Staaten (Washington, Millenium Stage des Kennedy Center), wie auch in die Niederlande, wo sie auf Einladung der Stiftung Euriade in der Abtei Rolduc konzertierte. Weitere Konzerte führten sie nach Österreich, Deuschland, Lettland, Spanien, Andorra, Italien, Frankreich und Belgien. Es folgten Einladungen zum Festival Sommerclassics, zu Pianoplus in Bonn, sowie Klavierabende im Museum K20/K21 Düsseldorf, bei der Ärztekammer Nordrhein, auf Haus Rodehorst, im Luxemburger Haus in Berlin, im Grand Théâtre der Stadt Luxemburg, in der Philharmonie Luxemburg, im CAPe Ettelbrück und in der Bagno Konzertgalerie Steinfurt.2012 konzertierte Sie unter anderem am Liepaja Piano Stars Festival, im Falkenhof in Rheine, an dem Midi-Minimes Festival in Brüssel und dem Sint-Peter Festival in Louvain, und auf Schloß Elmau. Außerdem nahm Cathy Krier eine Einladung der Stiftung Biermans-Lapôtreals ‘Artist in Residence’ wahr. Für 2013 sind weiterhin Auftritte unter anderem beim Leipziger Klaviersommer, sowie im Mendelssohn-Haus vorgesehen.
Neben ihren Klavierabenden, konnte sie bereits als Solistin mit verschiedenen Orchestern auftreten: Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Solistes Européens Luxembourg, Orchestre de Chambre du Luxembourg, L’Estro Armonico, sowie Latvian Philharmonic Chamber Orchestra und Liepaja Symphony Amber Sound Orchestra unter der Leitung von Dirigenten wie Jack Martin Händler, Bramwell Tovey, Garry Walker, Pierre Cao, Yoon K. Lee und Atvars Lakstigala.