Beat Furrer: Liste der Werke am Ende des Artikels; Cantando Admont, musikalische Leitung Chor, Christoph Brunner, Sprecher, Sarah Aristidou, Friederike Kühl, Elina Viluma-Helling, Johanna Zimmer, Sopran, Matias Bocchio, Bariton, Gerald Preinfalk, Saxofon, Stephen Menotti, Posaune, Vera Fischer, Bassflöte, Olivier Vivarès, Klarinette, Gunde Jäch-Micko, Violine, Joonas Ahonen, Florian Müller, Johannes Piirto (Klavier), Lukas Schiske, Björn Wilker, Schlagwerk, Klangforum Wien, Beat Furrer; # Klangforum Wien AT-JI1-24-00001-37; Aufnahmen 2023-2024, Veröffentlichung 12.2024 (6h08') – Rezension von Uwe Krusch ** (For English please scroll down)

Symbiose bezeichnet die Vergesellschaftung von Individuen zweier unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist. Man mag die Beziehung vom Klangforum Wien zu Beat Furrer als Symbiose sehen, wenn man die langjährige Beschäftigung miteinander betrachtet. Denn das Ensemble wurde von Beat Furrer ins Leben gerufen und bietet ihm seitdem exzellente Aufführungen für seine Werke, die er selber, soweit nötig, dirigiert. Für das Klangforum Wien bieten seine Komponisten eine immer neue Möglichkeit, diesen Kosmos weiter zu erforschen und sich zu entwickeln.

Mit einem umfangreichen Paket aus Audio- und Videoalben sowie Büchern hat das Ensemble nun eine umfassende Box zum 70. Geburtstag des Komponisten aufgelegt. Die eingespielten 18 Stücke stammen aus den Jahren 1986 bis 2020, vom Klaviertrio ‘Retour an Dich’ bis zum Konzert für Violine und Orchester. Für den Komponisten selber sind sie wesentliche Beiträge zu seinem Schaffen. Sie zeigen damit grundverschiedene Ansätze und trotzdem lassen sich Verwandtschaften in dem Sinne nachweisen, dass Ideen und Materialien immer in weiterentwickelter Form aus früheren Werken in den neuen wieder einen Platz finden wie ein Pflanzengeflecht, dass immer neue Triebe entwickelt und auch wieder zusammen wächst. Jedes weitere Werk basiert auf einem neuen Konzept auf der Suche nach neuen und flexiblen Systemen, da subjektive Ausdrucksbedürfnisse geradezu den Bruch jedes Systems fordern. Denn Brüche eines Konzeptes können ihn nach seinen eigenen Worten womöglich in eine Region entführen, in die er sonst nicht gekommen wäre.

Eine weitere wichtige Zutat ist die Literatur. Für die Werke der Jubiläumsbox sind dies Gedichte, Briefe, Romane, Hörspiele, Mythen und Prophezeiungen diverser Autoren von Lukrez über Petrarca bis hin zu James Joyce und Hermann Broch, deren Worte gesungen, gesprochen, in Silben zerlegt, von Instrumenten imitiert oder anderweitig moduliert werden, so dass die Inhalte im klassischen Sinn nicht immer mitgeteilt werden.

Als Komponist entwickelt Furrer seit den 1980er-Jahren ein breites Repertoire, das vom Solostück über Kammermusik bis hin zu Ensemblewerken für Chor und Orchester und Opern reicht. Die ältere Musik der 80er und 90er Jahre war meist fragil und stellte sich mit einer eher im Pianobereich gehaltenen Dynamik dar, deren Klang immer wieder auch durch neuartige Spieltechniken neu justiert wurde. Insgesamt deutet seine Musik eher an, statt sich an klare Aussagen heranzuwagen.

Auch die bildenden Künste stellen bei Furrer eine Inspirationsquelle dar, wie sich am Werk Nuun für zwei Klaviere und Ensemble zeigt, das unter dem befruchtenden Eindruck der monochromen Bilder Yves Kleins entstand. Der Reichtum der Details dieser Bilder lässt sich bei der ersten Begegnung nicht erahnen, genauso wie beim Nuun, wo die vielen klanglichen Ereignisse beim ersten Hören die Wahrnehmung der Bewegungen sowie der Strukturen in der Musik erschweren. Auch das ein Element seiner Arbeit, dass er teilweise in seinen Stücken unterschiedliche Energieschichten realisiert.

Im Klarinettenkonzert wird diese Vielfalt erneut deutlich, man mag von einer Wimmelmusik sprechen, deren unzählige Elemente erst einmal erfasst werden müssen, aber sofort einen mitreißenden Sog entwickeln. Dabei lässt die Vielfalt der Ereignisse fast das Soloinstrument nebensächlich erscheinen.

Das Konzert für Violine und Orchester ist sich als virtuos gestaltetes Werk seiner Gattung bewusst und bietet der Violine teils orchestral tragende Strukturen, teils kammermusikalisch intim Einbettung, für die die Solostimme nach einem Weg zwischen Gesang, sprechendem Tonfall und Geräusch sucht, den sie findet, ohne dass es er einzige sein müsste.

Das Konzert für Klavier und Ensemble ist eine ausgebreitete Darstellung aller klanglichen Möglichkeiten des Klaviers, bei der das Klavier von den Basssaiten bis hin zum scharfen Diskant agiert und das das Ensemble das Klangspektrum und den Resonanzraum moduliert und erweitert.

Bei der Kammermusik gibt es klassisch besetzte Formen wie das Klavierquintett ‘spur’, das enervierend energiereich und treibend seine Schichtungen offenbart oder das frühe Klaviertrio „Retour an dich“, bei dem harte Schläge wie Schreie zwischen die gewundenen Schichtungen gesetzt sind oder „intorno al bianco“ für Klarinette und Streichquartett, bei dem die Streicher das Spektrum der Klarinette in kleinsten Formen und Schritten erweitern.

Bei der anderen hier zu hörenden Kammermusik bieten bereits ungewöhnliche Bestzungen neue Höreindrücke. ‘apoklisis’ für zwei Bassklarinetten macht sich suchend, gar tastend auf den Weg, in ‘… cold and calm and moving’ für Flöte, Violine, Cello und Harfe bringt die Harfe die Töne zu den vor allem geräuschhaft agierenden anderen Instrumenten ein, die die Harfe betten oder überwölben.

Semadenis Gedichtsammlung ‘In mia vita da vuolp’ (In meinem Leben als Fuchs) mit seinem allgegenwärtigen Topos des Todes setzt Furrer mit Saxofon und Stimme einander umspielend um, um den Perspektivwechsel vom Menschen zum Tier in Töne zu fassen.

In ‘La bianca notte’ für Sopran, Bariton und Ensemble ist die Musik der Subtext, der nicht in Worte zu fassen ist, sehnsuchtsvoll zeigen mikrotonale Intervalle wie intensive Umspielungen die Liebenden.

In ‘invocation VI’ ergänzt die Bassflöte als Resonanz die Stimme in perkussiver Manier und flächigem Rauschen wie gehetzten Schreien hin zur Mehrstimmigkeit.

Furrer hat bei Xenos III für zwei Schlagzeuger und Streicher einen Text mit seiner Stimme aufgenommen und dann mit der Software SPEAR für das Instrumentalensemble kunstvoll re-orchestriert, das mal geräuschhaft, mal klangvoll den Hörer ergreift.

‘linea dell’orizzonte’ für Ensemble vereint zwei grundsätzlich unterschiedliche Klangquellen, das akustische Ensemble und eine über Lautsprecher verstärkte E-Gitarre, um damit zwei unterschiedliche Sichtweisen zu präsentieren.

Neben den vorgenannten und den hier nicht näher erwähnten Stücken stellt die Sammlung die dritte Musiktheaterarbeit vor, die Furrer geschrieben hat, nämlich „Begehren“. In zehn Szenen fokussiert das Stück den antiken Mythos des Orpheus. Neben antiken lateinischen Quellen verwendet Furrer moderne deutsche Texte. Als dramatisches Verfahren setzt er Schichten ein, die er nacheinander entziffert und entblättert und damit die Geschichte der beiden Figuren.

Das Klangforum Wien als solistisch agierendes Ensemble für moderne und modernste Musik bietet diese Auswahl vom Duo bis zur Oper in exemplarischen Interpretationen an. Jedem Werk merkt man die Hingabe an, mit der es dargeboten wird. Alle Interpreten bewegen sich äußerst sicher und mit starkem Ausdruck auf dem zum Teil sowohl technisch wie auch gestalterisch fremden Terrain, so dass die Erfassung und Umsetzung der Kompositionen überzeugend und bewegend ohne Abstriche gelingt. Das Klangforum Wien gibt den Stücken Ausstrahlung und Wärme, die man bei zeitgenössischer Musik nicht erwarten würde. Damit machen sie diese Auswahl aus 35 Jahren des Schaffens von Beat Furrer zu einem höchst genussvollen Erlebnis. Denn durch die gegenseitige Inspiration haben sie in den 40 gemeinsamen Jahren einen besonderen Klang entwickelt, der sich aus der befruchtenden Freundschaft entwickelt hat. Und dieser ermöglicht es der Musik von Furrer, nicht nur technisch perfekt zu erscheinen, sondern auch in seiner musikalischen Gestalt verstanden zu werden und erlebbar transportiert zu werden.

Die Werke stellt das Buch ‘Beat Furrer 70 Werke’ umfassend mit hilfreichen Informationen wie den Texten sowie Fotos zur Verfügung. In einem weiteren Buch, ‘Beat Furrer 70 technisches Booklet’, werden die technischen Daten wie Laufzeiten, Besetzungen und das Aufnahmeteam zusammengefasst. Das dritte Buch, Beat Furrer – Denkräume, vereint eine ‘Hommage. Nel mezzo del cammin’ von Peter Paul Kainrath sowie Fotos vom Wohnen und der Bibliothek sowie eine Liste ausgewählter Bücher und Kommentare von Furrer.

In der elektronischen Fassung werden noch Links mitgeliefert, die eine weitere lebendige und informative Facette für diesen Komponisten ermöglichen. In einem Gespräch begleitet Kainrath den Komponisten Furrer und drei Mitglieder des Klangforum Wien auf ihren gemeinsamen Erinnerungen, aber auch bei ihren Gedanken für die Zukunft. Der zweite Film zeigt als Stummfilm den Komponisten in seinem österreichischen Komponierzimmer, dem ‘Raum der Schöpfung’. Im dritten Film, ‘Eine Wanderung’, folgt man dem Blickwinkel von Furrer mit Atem- und Naturgeräuschen rund 80 Minuten auf einer Waldwanderung im Gebirge.

Kleine verlegerische Lapsi wie die falsche Nummerierung des letzten Tracks im technischen Booklet für Album 2 und das Fehlen der Information zu der Dauer einzelner Werke oder gar Sätze schmälern den Gesamteindruck nur unwesentlich.

furrer70.klangforum.at

Symbiosis refers to the socialization of individuals of two different species that is beneficial to both partners. The relationship between Klangforum Wien and Beat Furrer can be seen as a symbiosis if one considers their many years of working together. After all, the ensemble was founded by Beat Furrer and has since offered him excellent performances of his works, which he himself conducts where necessary. For Klangforum Wien, Furrer offers an ever new opportunity to explore and develop this cosmos further.

With an extensive package of audio and video albums as well as books, the ensemble has now released a comprehensive box set to mark the composer’s 70th birthday. The 18 pieces recorded date from the years 1986 to 2020, from the piano trio ‘Retour an Dich’ to the concerto for violin and orchestra. For the composer himself, they are significant contributions to his oeuvre. They thus show fundamentally different approaches and yet there is evidence of a relationship in the sense that ideas and materials from earlier works always find a place in the new ones in a further developed form, like a network of plants that constantly develops new shoots and grows together again. Each new work is based on a new concept in the search for new and flexible systems, as subjective needs for expression virtually demand the breaking of every system. Because, in his own words, breaks in a concept can possibly take him to a region he would otherwise not have reached.

Another important ingredient is literature. For the works in the anniversary box, these are poems, letters, novels, radio plays, myths and prophecies by various authors from Lucretius and Petrarch to James Joyce and Hermann Broch, whose words are sung, spoken, broken down into syllables, imitated by instruments or otherwise modulated so that the content is not always communicated in the classical sense.

As a composer, Furrer has been developing a broad repertoire since the 1980s, ranging from solo pieces and chamber music to ensemble works for choir and orchestra and operas. The older music of the 80s and 90s was mostly fragile and presented itself with dynamics that were more in the piano range, the sound of which was repeatedly readjusted by new playing techniques. All in all, his music is more suggestive rather than making clear statements.

The visual arts are also a source of inspiration for Furrer, as can be seen in the work Nuun for two pianos and ensemble, which was created under the stimulating impression of Yves Klein’s monochrome paintings. The richness of detail in these paintings cannot be guessed at first encounter, just as in Nuun, where the many tonal events make it difficult to perceive the movements and structures in the music at first hearing. It is also an element of his work that he sometimes realizes different layers of energy in his pieces.

In the Clarinet Concerto, this diversity becomes clear once again; one might speak of a ‘teeming music’, whose countless elements must first be grasped, but immediately develop a captivating pull. The variety of events almost makes the solo instrument seem secondary.

The Concerto for Violin and Orchestra is a virtuoso work aware of its genre and offers the violin partly orchestral structures, partly intimate chamber music embedding, for which the solo part searches for a path between singing, speaking intonation and noise, which it finds without it having to be the only one.

The concerto for piano and ensemble is an expansive presentation of all the piano’s tonal possibilities, in which the piano operates from the bass strings to the sharp treble and the ensemble modulates and expands the sound spectrum and resonance space.

In the chamber music, there are classically casted forms such as the piano quintet ‘spur’, which reveals its layers in an enervatingly energetic and driving manner, or the early piano trio ‘Retour an dich’, in which hard blows are placed like screams between the winding layers, or ‘intorno al bianco’ for clarinet and string quartet, in which the strings expand the clarinet’s spectrum in the smallest forms and steps.

In the other chamber music to be heard here, unusual instrumentations already offer new listening impressions. ‘apoklisis’ for two bass clarinets sets off in a searching, even tentative way, in ‘… cold and calm and moving’ for flute, violin, cello and harp, the harp introduces the tones to the other instruments, which mainly act noisily, bedding or arching over the harp.

Semadeni’s collection of poems ‘In mia vita da vuolp” (In my life as a fox) with its omnipresent topos of death is played around by Furrer with saxophone and voice in order to capture the change of perspective from human to animal in sound.

In ‘La bianca notte’ for soprano, baritone and ensemble, the music is the subtext that cannot be put into words, with longing microtonal intervals and intense interplay depicting the lovers.

In ‘invocation VI’, the bass flute complements the voice as a resonance in a percussive manner and flat noise like rushed cries towards polyphony.

In Xenos III for two percussionists and strings, Furrer recorded a text with his voice and then artfully re-orchestrated it for the instrumental ensemble using the SPEAR software, which sometimes noisily, sometimes sonorously captures the listener.

‘linea dell’orizzonte’ for ensemble combines two fundamentally different sound sources, the acoustic ensemble and an electric guitar amplified via loudspeakers, in order to present two different perspectives.

In addition to the aforementioned pieces and those not mentioned in detail here, the collection presents the third music theater work that Furrer has written, namely ‘Begehren. In ten scenes, the piece focuses on the ancient myth of Orpheus. In addition to ancient Latin sources, Furrer uses modern German texts. As a dramatic technique, he uses layers, which he deciphers and unravels one after the other, thus telling the story of the two characters.

Klangforum Wien, a soloist ensemble for modern and contemporary music, offers this selection from duo to opera in exemplary interpretations. The dedication with which each work is performed is evident. All the performers are extremely confident and expressive in what is sometimes unfamiliar terrain, both technically and creatively, so that the compositions are captured and realized convincingly and movingly without any compromises. Klangforum Wien gives the pieces a charisma and warmth that one would not expect from contemporary music. This makes this selection from 35 years of Beat Furrer’s creative output a highly enjoyable experience. Through their mutual inspiration, they have developed a special sound over their 40 years together, which has evolved from their fruitful friendship. And this enables Furrer’s music not only to appear technically perfect, but also to be understood in its musical form and to be conveyed in a tangible way.

The works are made available in the book ‘Beat Furrer 70 Works’, which includes helpful information such as the texts and photos. Another book, Beat Furrer 70 technical booklet, summarizes the technical data such as running times, cast and the recording team. The third book, Beat Furrer – Denkräume, combines a ‘Hommage. Nel mezzo del cammin’ by Peter Paul Kainrath, shows photos of Furrer’s home and library as well as a list of selected books and commentaries by Furrer.

The electronic version also includes links, which provide a further lively and informative facet to this composer. In a conversation, Kainrath accompanies the composer Furrer and three members of Klangforum Wien on their shared memories, but also on their thoughts for the future. The second film is a silent movie showing the composer in his Austrian composing room, the ‘Space of Creation’. The third film, ‘Eine Wanderung’ (A Hike), follows Furrer’s point of view with breathing and nature sounds for around 80 minutes on a forest hike in the mountains.

Small publishing lapses such as the incorrect numbering of the last track in the technical booklet for album 2 and the lack of information on the duration of individual works or even movements only marginally detract from the overall impression.

furrer70.klangforum.at

Alphabetische Liste der Werke:
apoklisis für zwei Bassklarinetten,
Begehren 1und 2 Musiktheater für Solisten, Chor und Ensemble,
Gaspra für Ensemble,
in mia vita da vuolp,
Konzert für Klarinette und Ensemble,
intorno al bianco für Klarinette und Streichquartett,
invocation VI für Sopran und Bassflöte,
Konzert für Klavier und Ensemble,
Konzert für Violine und Orchester,
La bianca notte für Sopran, Bariton und Ensemble,
linea dell’orizzonte für Ensemble,
Nuun für zwei Klaviere und Ensemble,
Retour an Dich,
Spazio immergente III für Sopran, Posaune und Streicher,
spur für Klavier und Streichquartett,
Studie 2: à un moment de terre perdue für Ensemble,
Xenos III für zwei Schlagzeuger und Streicher,
… cold and calm and moving

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