Eine neunte Symphonie nach Beethoven zu schreiben war auch für Bruckner ein Problem. Auch er hatte Angst, dass es sein Ende bedeuten könnte. Und schließlich konnte er auch den vierten Satz nur als Gerüst fertigstellen. Die Entwürfe hierzu wurden unverantwortlicherweise von seinen Schülern in alle Winde zerstreut.
Mit diesem Gedanken im Kopf hört man den ersten Satz dieser Deutung anfangs wie ein Wanken zwischen trotzigem Vorwärts und verzagtem Stocken. Ebenso massige wie klare Akkorde der Blechbläser wechseln sich mit von Holzbläsern und Streichern tragisch und unruhig formulierten Passagen ab. Und doch entfaltet der Satz eine Geschlossenheit und einen Drang, der die Zweifel im Zaum und Bruckner auf seinem sicheren Weg zu diesem Werk hält. Die beim Komponisten bekannten Blöcke in der Instrumentation wirken hier eher abgemildert und nicht gegeneinander gekantet. Aber es wird kein frohgemuter Gang. Er schreitet voran, aber nicht leichten Herzens.
Im Scherzo ist dann die bei Bruckner bekannte Sicherheit und Strahlkraft wiedergewonnen. Mit rhythmischem Impetus treten immer wieder einzelne Instrumente oder Gruppen hervor. Insbesondere lässt Järvi die Holzbläser Glanzlichter setzen. Järvi und dem Orchester gelingt es, mit feinen Differenzierungen den schnellen Grundtakt als treibende Kraft zu installieren und ohne Abstriche durchzuhalten, ohne deswegen ein monotones Rennen zu evozieren.
Im Adagio tauchen einige von Bruckners Lieblingen auf. Nicht nur zitiert er frühere eigene Werke, sondern instrumentiert Anfang und Ende zusätzlich mit vier Wagnertuben, die mit ihrem besonderen Klang eine Huldigung an Richard Wagner, der sie für den Ring des Nibelungen entwerfen ließ, darstellen. Zudem verfasste Bruckner diese Symphonie in seiner Lieblingstonart d-Moll, so wie es Beethoven seine Neunte. Bruckner empfand diese Tonart als ‘majestätisch’, ‘feierlich’ und ‘mysteriös’. Und wenn man diese Interpretation gehört hat, dann kann man ihn gut verstehen. Der Satz erblüht in aller Ruhe. Überhaupt ist diese Interpretation mit etwas mehr als einer Stunde Dauer eine der längsten im Katalog.
Wehmut ist nicht zu vernehmen, aber Besinnung und Einkehr mag man heraushören. Das intensive Musizieren bietet eine sozusagen hügelige Welt von kammermusikalisch klein besetzten Episoden bis zu großen orchestralen Augenblicken. Die Musik führt hier nicht zu hochgebirgigen Szenerien, weder in eine enge Klamm noch zu steilen monumentalen felsigen Spitzen. Der ‘Abschied vom Leben’, wie es Bruckner im Adagio über die von Hörnern und Tuben angestimmte Choralpartie schrieb, folgt ganz unweigerlich und friedlich ohne Angst und auch ohne Aufbäumen. Bruckner wird von Dirigent und Orchester als selbstbewusst und gefasst in seinem Streben nach Höherem gezeigt.
Writing a ninth symphony after Beethoven was also a problem for Bruckner. He was also afraid that it could mean the end of his life. And in the end, he was only able to complete the fourth movement as a skeleton. The drafts for this were irresponsibly scattered to the winds by his students.
With this thought in mind, the first movement of this interpretation initially sounds like a wavering between defiant forward motion and despondent faltering. Massive and clear chords in the brass alternate with tragic and restless passages in the woodwinds and strings. And yet the movement develops a unity and an urge that keeps the doubts in check and Bruckner on his sure path to this work. The composer’s familiar blocks in the orchestration seem softened here rather than edged against each other. But it is not a cheerful gait. He moves forward, but not with a light heart.
The Scherzo then regains Bruckner’s familiar security and radiance. Individual instruments or groups repeatedly stand out with rhythmic impetus. In particular, Järvi allows the woodwinds to shine. Järvi and the orchestra succeed in establishing the fast basic beat as a driving force with subtle differentiations and maintaining it without compromises, without evoking a monotonous race.
Some of Bruckner’s favorites appear in the Adagio. Not only does he quote earlier works of his own, but he also orchestrates the beginning and end with four Wagner tubas, whose special sound pays homage to Richard Wagner, who had them designed for the Ring of the Nibelung. In addition, Bruckner wrote this symphony in his favorite key of D minor, as Beethoven did his Ninth. Bruckner found this key « majestic », « solemn » and « mysterious ». And once you have heard this interpretation, you can understand him well. The movement blossoms calmly. At just over an hour long, this interpretation is one of the longest in the catalog.
There is no melancholy to be heard, but reflection and contemplation can be heard. The intense music-making offers a hilly world, so to speak, from small chamber music episodes to large orchestral moments. The music here does not lead to high mountain scenery, neither to a narrow gorge nor to steep monumental rocky peaks. The « farewell to life », as Bruckner wrote in the Adagio over the chorale part intoned by horns and tubas, follows quite inevitably and peacefully without fear or rebellion. Bruckner is shown by conductor and orchestra to be self-confident and composed in his striving for higher things.