Keinesfalls müsste ich mich rechtfertigen, hätte ich dem neuen Album von Alice Sara Ott – zumal mit einem Konzert, welches sie schon lange Zeit einspielen wollte – die bestmögliche Bewertung gegeben. Schließlich trifft die Pianistin voll den Zahn der Zeit und den allgemeinen Geschmack des Publikums, genau solch ein Grieg-Spiel wird heute erwartet: sanft, träumerisch und auf eine angenehme Art oberflächlich, ideal zum entspannten Zurücklehnen und Genießen, dazu noch mit einer herausragenden pianistischen Beherrschung und zartem Gefühl dargeboten.
Doch schießt diese geläufige Darbietung (wie ich sie sozusagen bereits ein Dutzend Mal gehört habe und sicherlich noch einige Dutzend Male hören werde) an dem vorbei, was Grieg eigentlich ausmacht. Freilich wurde seine Musik in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gerne als Salonmusik missbraucht, als Musik für Töchter gehobenen Hauses, doch wird keiner dieser Auffassung zustimmen können, der sich ernsthaft mit der Musik des norwegischen Meisters auseinandergesetzt hat, der auch seine großformatig ambitionierten Werke kennengelernt und seine düstersten Seiten (unübertroffen in der Ballade und dem Streichquartett, beide in g-Moll) erforscht hat.
Warum sonst hätten sich unzählige große Musiker wie Emil Gilels oder Walter Gieseking so intensiv sogar den Miniaturen Griegs gewidmet? Griegs Musik lebt von der Schlichtheit und Einfachheit, von der Nähe zur Volksmusik (die er oft aus den Transkriptionen Lindemans zitiert) sowie vom inspirierten Moment, der seine feste Form gefunden hat und diese doch auf stringente Weise durchführt. Übermäßiges Verträumen im Detail und Willkür in der Gestaltung kann die Unbekümmertheit und innere Freiheit der Musik schnell zunichtemachen.
Perlend klar und leicht fliegt Alice Sara Ott über die virtuosen Passagen des beliebten Klavierkonzerts hinweg, nimmt es mit einer gewissen Verspieltheit und Lockerheit. Doch auch mit einer bemerkbaren Routine, die die Magie aus manch einer harmonischen Wendung nimmt und Details in den Unterstimmen verschleiert – alles läuft hinaus auf die eingängige Oberstimme. Mancherorts fehlt die Fokussierung auf das Geschehen, der Sog nach vorne und die Ausrichtung auf ein gewisses Ziel, so gerade in der Kadenz, wo die rauschenden Läufe nicht bezwingend in ihrem angestrebten Akkord münden.
Esa-Pekka Salonen folgt sensibel der Pianistin und lässt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit ihrem Klang verschmelzen. Auch hier wäre noch manches Detail in den Unterstimmen hörbar zu machen, doch dafür glänzen zumindest die Oberstimmen in Schönklang von enormer Sanglichkeit und natürlicher Phrasierung.
Im Anschluss folgen Soloaufnahmen Otts als eine Art ‘Best Of’ der Lyrischen Stücke und der Klaviertranskriptionen aus Peer Gynt. Es ist viel Schönes dabei in diesen Aufnahmen und manch einen bezaubernden Aspekt konnte Alice Sara Ott aus den Miniaturen hervorzaubern. Stellenweise knallen die vollgriffigen Fortepassagen dann doch zu stark heraus und manches willkürliche Element wie überakzentuierte oder eigensinnig eingefügte Staccati brechen den Fluss. Alles in allem geraten diese Stücke unter Otts Fingern dennoch angenehm, zugleich durchsetzt mit leichtem Kitsch, der jedoch nicht komplett die Musik weichspült. Überraschend gelingt ‘I balladetone’ op. 65 Nr. 5, hier kann die Pianistin einmal eindrucksvoll beweisen, welch faszinierendes musikalisches Talent doch in ihr steckt, welches sie früher so oft ausleben konnte in ihren Konzerten sowie in den Einspielungen von Liszts Transzendentalen Etüden oder Chopins Walzern, was mir allerdings die letzten Jahre bei ihr mehr und mehr abging.