Dmitri Shostakovich: Kantaten; Die Hinrichtung des Stepan Rasin op. 119, Über unserem Vaterland scheint die Sonne op. 90, Das Lied von den Wäldern op. 91; Estonian Concert Choir, Estonian National Symphony Orchestra, Paavo Järvi; 1 CD Erato 825646166664; Live 2012 (79'52) – Rezension von Remy Franck

Dmitri Shostakovich war, wenn es sein musste, auch ein Angepasster, ein Opportunist. Das zeigt sich in diesen opulenten Chorwerken, die Paavo Järvi 2012 in Talinn dirigierte und die Erato jetzt als Mitschnitt veröffentlicht.

Das Oratorium ‘Das Lied von den Wäldern’ (1949) hat eine nationale Aufforstungskampagne zum Thema, und im Text ist vom ‘großen Gärtner’, Stalin, die Rede. Für die Komposition erhielt Shostakovich 1950 den Stalin-Preis 1. Klasse. Seine Rechnung war aufgegangen. Er, der vormals verfemte Komponist, hatte sich weiß, oder besser, rot gewaschen mit einer Musik, die von ihm eigentlich nur die geniale Orchestration hat, denn stilistisch gehört sie anderen Gefilden an. Im Textheft der CD ist zu lesen, nach der Uraufführung habe sich der Komponist verzweifelt und frustriert in sein Hotelzimmer zurückgezogen und Wodka getrunken. Auch ‘Über unserem Vaterland scheint die Sonne’ (1952) ist ein solches Busse-Stück. Selbst die nach Stalins Tod geschriebene Kantate ‘Die Hinrichtung des Stepan Rasin’ ist nicht ganz aus dem normalen Shostakovich-Stoff, kann jedoch bis zu einem gewissen Grad auch als Kritik am Sowjetregime angesehen werden.

Das alles wertet die vorliegende CD nicht ab, im Gegenteil: es ist gut, die selten gespielten Werke zu hören, weil sie ein sicherlich nicht unwichtiges Element im Schaffen Shostakovichs darstellen.

Paavo Järvi versucht, den drei Werken ihren Pathos zu nehmen und in erster Linie zu zeigen, welch gute Musik der Komponist selbst dann zu schreiben vermochte, wenn er sich selbst verleugnete.

Mit dem sehr guten ‘Estonian Concert Choir’ und dem ‘Estonian National Symphony’ legt der Dirigent sehr dynamische und brillante Interpretation vor. Jedenfalls haben sich die estnischen Musiker keinen Zwang auferlegt, um diese Musik, die die jahrzehntelangen Unterdrücker ihrer Heimat feiert, in packenden Darbietungen aufzuführen.

Ein erheblicher Mangel des Albums ist die Tatsache, dass die Texte der Kantaten, auf die der Booklet-Aufsatz ausdrücklich mehrmals Bezug nimmt, nicht abgedruckt wurden. Das ist ein Hohn, und es gibt dafür eine schlechte Note und am Ende Punkteanzug (nur 4 statt der musikalisch verdienten 5 Noten).

Gripping performances of Shostakovich’s compromise music, cantatas which he wrote to please the regime, and which, besides being impeccably realized, are reactionary and deeply different from his normal style.

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