Kaum zu glauben, aber Mikis Theodorakis wird am 29. Juli 2015 neunzig. Jedoch setzen ihm die Verfolgungen und Schläge, die er als junger Widerstandskämpfer (1943-1945) erhalten hatte, und die Folterungen, die er während des griechischen Bürgerkriegs (1946-1949) und der Juntadiktatur (1967-1974) erleiden musste, nun im hohen Alter schwer zu. Und doch: Er ist engagierter denn je und leidet an dem, was seiner geliebten Heimat widerfährt.
Es versteht sich daher, dass Griechenland den bedeutendsten seiner ‘Söhne’ zum Geburtstag gebührend feiern will, und es freut uns, dass auch in Europa, Lateinamerika und den USA sein Werk gewürdigt wird. Dabei kommt vor allem seine großartige Vertonung des ‘Canto General », Auszüge aus dem gewaltigen Gedichtband von Pablo Neruda (Nobelpreisträger 1971) zur Geltung.
Es dürfte vielleicht interessieren, wie es zur Entstehung dieses Oratoriums gekommen ist: Als Theodorakis ab 1970 von der Junta ins Exil geschickt worden war, lernte er Pablo Neruda kennen, der zu dieser Zeit chilenischer Botschafter in Paris war. Theodorakis erhielt eine Einladung nach Chile. In Valparaiso hörte er eine Deutung des ‘Canto General », komponiert von chilenischen Musikern, und er versprach, selbst eine Fassung zu verwirklichen. Der frei gewählte linke Präsident Salvador Allende war von der Idee begeistert und kreuzte in seiner Buchausgabe sechs Texte Nerudas mit blauer Tinte an. In Paris und am Cap d’Agde begann Theodorakis sofort mit der Arbeit, und Neruda konnte noch die Proben zu den ersten vier Teilen in Paris hören. Danach notierte er, sehr erfreut, seine Vorschläge für weitere sechs Lieder mit grüner Tinte in eine Ausgabe, die er dem « gran Theodorakis » zueignete. Überstürzt kehrte er aber nach Santiago zurück, weil Putschgerüchte sich verdichteten.
Im Spätsommer 1973 begann Theodorakis eine Mittel- und Südamerika-Tournee, die in Buenos Aires ihren Anfang hatte: Neruda selbst sollte dort seine Gedichte vortragen, aber er kam nicht. Er lag krank in seiner Wohnung auf Isla Negra, sprach am Telefon mit Theodorakis von Rheuma, während es sich in Wirklichkeit um eine Krebserkrankung handelte. Theodorakis erhielt danach einen Anruf, nicht nach Chile zu kommen, es gäbe Probleme. In Caracas erfuhr er, am 11. September 1973, vom Putsch des treubrüchigen Augusto Pinochet, einem Putsch, der angezettelt worden war durch die USA und den hochwerten Verbrecher Henry Kissinger. In Mexiko bekam er dann am 23. September die Nachricht vom Tode Nerudas und schwor sich, bei jedem seiner Konzerte einen Teil des ständig wachsenden ‘Canto’ aufzuführen, so lange, bis das Werk auch in Chile gespielt werden konnte. Das war erst im April 1993 der Fall. Inzwischen war die Komposition von vier auf sechs, danach sieben, alsdann acht Teile (‘Neruda Requiem », die Hommage von Theodorakis an seinen Freund), und schließlich dreizehn angewachsen. Zuerst waren nur zwei Solisten und die Instrumentalisten des Orchesters von Theodorakis impliziert, dann erweiterte er das Werk um die Chöre und eine stark differenzierte Orchestrierung, besonders, was das Schlagzeug betraf. Henning Schmied, der Pianist, und Jens Naumilkat, der Cellist, schufen 1998 eine Orchesterfassung für sechs Teile, und auch Yannis Samprovalakis sollte 2005 an einer Orchestrierung weiterer Teile mitwirken. Man sieht: Es handelt sich beim ‘Canto General’ um ein echtes ‘work in progress’, das inzwischen zu einem der populärsten Werke des vielseitigen Komponisten geworden ist und die Welt erobert hat.
Nun, diese Neuveröffentlichung des ‘Canto General’ bei Gramola, beruht auf einem erfolgreichen ‘Live’. Dieser waren von so guter Qualität, dass er als CD sehr wohl seine Berechtigung hat, auch, wenn das klangliche Gleichgewicht nicht ganz optimal ist: die Chöre erscheinen zu weit entfernt. Es sind aber gerade die eindrucksvollen Chöre, die dieser Einspielung ihren Gütestempel aufdrücken. So nuancenreich, feinfühlig, rhythmisch präzis und zugleich intensiv hat man diese überaus schwierigen Chorpartien nur selten gehört. Die Instrumentalisten sind von hohem Rang, besonders sollen aber die Pianisten und die sichere, sensible Leitung von Leopold Griessler hervorgehoben werden. Auch die beiden Solisten verdienen Beachtung. Zwar können sie Maria Farantouri, Arja Saijonmaa und Petros Pandis, die Interpreten der ‘klassischen’ Einspielungen, nicht vergessen machen, doch haben sie eine eigene künstlerische Persönlichkeit. Sergio Cattaneo gefällt durch seine differenzierten, fein artikulierten und gepflegten Darbietungen, Julia Schilinski hat, dank ihrer Zusammenarbeit mit dem Pianisten Gerhard Folkerts, dessen Einsatz für Theodorakis nicht genug gewürdigt werden kann, viel Theodorakis-Erfahrung gesammelt. Sie weiß, wie die Musik des Meisters gestaltet werden sollte, und sie schöpft diese Erfahrung denn auch nun voll aus, mit, als Höhepunkt ihrer Darbietung, ‘Los Libertadores’.
Somit muss diese 2-CD-Gramola-Veröffentlichung als ein wertvolles Geburtstagsgeschenk für den großen Griechen angesehen werden.
Overall excellent live recording of one of the major works by Mikis Theodorakis. Choir, pianists, soloists and the sensitive conductor deserve a lot of praise.