Auf durchweg prall gefüllten 21 Scheiben leuchtet das Label Warner das komplette Œuvre von Maurice Ravel aus. Der Umstand, dass dabei natürlich die hauseigenen Aufnahmen Verwendung finden, bietet in Details vielleicht nicht die besten aller Interpretationen, aber bei einem so namhaften Haus finden sich genügend Aufnahmen, so dass keine offenen Flanken bleiben. Trotz der vielen CD bietet diese Box bietet deutlich mehr als eine Handvoll Musik.
Klavierwerk
Das Klavierwerk für ein Piano von Ravel hat beispielsweise für Bertrand Chamayou (Rezension) positive Betrachtung gefunden. Hier werden Teile daraus vorgestellt, da auch andere gute Interpretationen wie etwa für La Valse mit der Sicht von Beatrice Rana (Rezension) vorliegen. Doch auch die weiteren Interpreten können für sich beanspruchen, einen engen und direkten Zugang zu den Ausdruckswelten von Ravel ebenso zu haben wie die Möglichkeiten einer fingerfertigen Darstellung.
An die drei Scheiben schließen sich zwei an, auf denen Stücke für Klavier zu vier (und fünf) Händen oder für zwei Pianos aufgenommen worden. Hier etwa findet sich Martha Argerich als Interpretin zusammen mit Alexander Mogilevsky für die ikonischen Werke Ma mère l’Oye oder mit Alexandre Rabinovitch bei La Valse. Daneben haben sich andere bekannte Pianisten wie Jean-Philipp Collard und Michel Béroff für Sites articulaires und die Rhapsodie espagnole und noch dazu Marille Labèque für das fünfhändig zu spielende Frontispice zusammen getan.
Kammermusik
Einen kleineren Umfang nimmt das Kammermusikwerk ein, das von Werken für Violine geprägt wird. Diese Stücke, die beiden Sonaten mit Klavier bzw. mit Cello, werden in den immer edlen und intensiven Deutungen der Brüder Capuçon zusammen mit Frank Braley als Pianist dargeboten. Die kleineren Werke für Violine und Klavier, also die Tzigane mit Christian Ferras und Pierre Barbizet, die später noch als orchestrierte Version mit Vadim Repin den Vergleich ermöglicht, und die Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré mit Jean-Jacques Kantorow und Jacques Rouvier führen weitere arrivierte Musiker in hörenswerten Einspielungen ein. Das Quartett wird vom Quatuor Ébène in einer feinsinnigen, eher den Feinheiten lauschenden als auftrumpfend erzählt. Das für sieben Instrumentalisten verfasste Introduction et Allegro ist in einer beinahe schon historisch zu nennenden Aufnahme von 1964 mit französischen Interpreten zu hören.
Orchesterwerke
Vier Scheiben sind den Aufnahmen der als Orchesterwerke zugeordneten Stücke gewidmet. Das bedeutet auch, dass Werke, die vorher in der Klavierfassung zu hören waren, nunmehr orchestriert erklingen. Fast jedes der Werke wird durch ein anderes Orchesters und damit auch einen anderen Dirigenten dargeboten, so dass ein Dutzend Ensemble und Leiter die 15 Kompositionen vorstellen. Das hat den Vorteil, dass man verschiedene Sichten hören kann.
Dabei wurde vor allem Wert auf weltweit anerkannte Orchester und Dirigenten gelegt, wobei französische Interpreten in der Mehrzahl sind, etwa mit dem Orchestre de Paris unter Jean Martinon für die Shéhérazade. Dass das Orchestre de la Société des Concert du Conservatoire unter André Cluytens gerade mit dem Boléro eher die plakative, weniger ganz stringente, dafür aber umso wirkungsvollere Sicht präsentiert, mag man verschmerzen. Mit dem Philadelphia Orchestra unter Riccardo Muti gelingt eine italienische eingehegten neue Welt Sicht der Rhapsodie Espagnole und der Miroirs. Hier werden amerikanisch kristallin strukturiertes Spiel und Farben und Licht miteinander ausdrucksstark verwoben.
Die Valses nobles et sentimentales haben ihren Platz in der Box mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin gefunden. Die Interpreten bestätigen auch in diesem Werk ihr bei anderen Werken Ravels (Rezension) – (Rezension) gezeigtes tiefes Verständnis und ihren tadellosen Einsatz für diesen Komponisten. Daphnis et Chloé erklingt mit dem Orchester der Konzertgesellschaft des Konservatoriums aus Paris unter André Cluytens.
Das Orchestra della Svizzeria Italiana unter Alexander Vedernikov begleitet Martha Argerich in einem wenige Jahre alten Konzertmitschnitt aus Lugano im G-Dur Konzert. Soweit dieses Ensemble nicht ganz die Verfeinerung an Technik und Klang mancher Orchester erreicht, wird das durch die Konzertatmosphäre und das herausragende Spiel von Martha Argerich mehr als ausgeglichen. Ein Leckerbissen an Farben und Nuancen ist die Einspielung von Ma Mère l’Oye mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Sir Simon Rattle.
Orchestrierungen fremder Werke durch Ravel
Eine CD fasst die Fremdkompositionen zusammen, zu denen Ravel eine Orchestrierung geschaffen hat. Aus diesen ragt sicherlich der Zyklus Bilder einer Ausstellung an Bekanntheit heraus. Die Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra unter Lorin Maazel zeigt den auf glasklare, mitunter fast aseptischen Klang ausgerichtete Interpretation, aus der aus anderer Sicht aber auch hörbar ist, dass manche heute erwartete Stringenz damals noch nicht so ausgeprägt war. Aber ein packendes Klangerlebnis ist es allemal. Auf dieser CD findet sich auch die Komposition Carnaval von Schumann mit dem Orchester aus Lyon unter Emmanuel Krivine. Er steuert eine handwerklich gefeilte handfeste Auslegung des Werkes bei.
Lieder und Orchesterwerke mit Gesangsstimmen
Auf drei Teile am Audiokonvulut erstrecken sich die Lieder sowie auf zwei Opern- und lyrische Werke. Bei den Liedern reihen sich neben weniger bekannten Interpreten die großen Namen der Gesangskunst wie Perlen an eine Schnur, etwa Elly Ameling, Felicity Lott, Victoria de los Angeles, José van Dam und Jessye Norman, wobei auch die Pianisten mit Ciccolini und Say, aber auch für die Orchesterlieder Barbirolli, Frank, Nagano, Plasson und Prétre als Dirigenten, die für erlesene Pflege des Repertoires sprechen.
Alyssa, L’Heure espagnole und L’Enfant et les sortilèges werden vorwiegend mit französischen Kräften gestemmt, was die Aussprache zum Selbstläufer macht. Doch auch sonst sind diese Aufnahmen hörenswert.
Historische Aufnahmen
Abschließend werden historische Fundstücke präsentiert, bei denen Ravel eigene Werke am Klavier vorträgt (auf Notenrollen wie Welte-Mignon überliefert) oder selber dirigiert bzw. Aufnahmen betreut hat (eine wenige Tage vor der Uraufführung) oder andere historische Größen aus seinem Umfeld sich seiner Musik angenommen haben. Diese Ergänzung mit nochmals einem Fünftel am Volumen der Gesamtausgabe bildet den krönenden Abschluss einer insgesamt sehr erfreulichen Ausgabe, die diesen speziellen, aber eben auch großen Komponisten ehrt. Bei den Piano Rolls ist die Aufnahmequalität ausgezeichnet, bei den anderen historischen Aufnahmen ist die zeitliche Komponente dann doch deutlich zu spüren, was dem Reiz dieser Aufnahmen aber keinen Abbruch tut. Aus den Spielzeiten lassen sich keine Schlüsse auf Interpretationen ziehen. Denn die historischen Aufnahmen sind im einen Fall schneller, im anderen auch langsamer, wobei es sich immer um graduelle Abweichungen handelt. Dagegen wird deutlich, dass Ravel auch ein ausgezeichneter Pianist war, der seine Werke gerade auch strukturell darzustellen verstand.
Andere Pianisten bis hin zu Arthur Rubinstein sind auf der zweiten Scheibe dieser historischen Sammlung mit zum Teil nur einzelnen Sätzen zu erleben. Eine bunte Mischung inklusive einer leidenschaftlichen Shéhérazade, eine stimmungsintensive und farbenreiche, immer maßvolle Version des Quartetts mit dem damals auf Zeitgenössisches fokussierten Quatuor Calvet sowie die locker zirzensische Tzigane mit Zino Francescatti und Maurice Faure folgen.
Was bleibt nebenbei noch erwähnen? Das Beiheft lässt in einen ausführlichen Lebenslauf die Entstehungszeiten der Werke einfließen. Nicht abgedruckt sind die Texte der Kompositionen. Bilder von Ravel und etlichen der unzähligen Interpreten schaffen eine Künstlergalerie. Eine alphabetische Liste der Werke mit Zuordnung zu einer Kategorie und der Nummer der CD, auf dem sie zu finden sind, vervollständigt dieses Buch. Die Angaben zu den einzelnen Sätzen und Besetzungen finden sich dann jeweils auf den Hüllen der CDs. Bei den Interpreten sind vor allem Aufnahmen französischer Provenienz vertreten, aber es finden sich selektiv viele internationale Beteiligte. Vollständig aufzuzählen ist kaum möglich. Die Gegenüberstellung historischer und aktueller Aufnahmen lässt vergleichende Betrachtungen zu. Insbesondere die eigenen Interpretationen von Ravel sind spannend. Die technische Aufbereitung der zum Teil doch recht alten Aufnahmen ist makellos, so dass man hier kaum Abstriche hinnehmen muss. Dem Label Warner ist eine nicht nur ein umfassender, sondern mit den Aufnahmen aus den Archiven und durch die Vielgestaltigkeit der Interpretationen ein faszinierender Blick auf Maurice Ravel gelungen.