Krzysztof Penderecki feiert am 23. November seinen achtzigsten Geburtstag. In Warschau findet in der Woche vom 17. bis zum 23. ein Penderecki Festival statt, über das wir ausführlich in unseren News berichten werden. Gegenstand dieses Beitrags ist die Gesamtaufnahme der Symphonien Nr. 1-8, sieben an der Zahl, da die Sechste immer noch existiert. Penderecki selber dirigiert, das Orchester ist die ‘Sinfonia Iuventus’, Polens herausragendes nationales Jugendorchester.
Der Maestro hat auf meine Frage, ob diese Gesamtaufnahme seines Erachtens die endgültige Fassung der Symphonien ist, wie er sie sieht, mit einem ganz klaren ‘Ja’ geantwortet. Nun will er damit die bereits vor einiger Zeit veröffentlichte Gesamtaufnahme mit der Warschauer Philharmonie unter Antoni Wit bei Naxos gewiss nicht penalisieren, aber offenbar hat er doch das Gefühl, dass er selber am besten weiß, wie seine Musik zu klingen hat. Nicht umsonst sagt er: « Ich brauche ein Werk nicht im Konzert zu hören. Ich kann es im inneren Ohr genau voraussehen. Ich ändere auch nie etwas, nachdem ich ein Stück im Konzert gehört habe, es kommt höchstens vor, dass sich etwas hinzufüge. »
Die erste Symphonie wurde 1973 vom ‘London Symphony Orchestra’ unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Er war damals 40 Jahre alt und er selber sieht das Werk als die Summe der Erfahrungen an, die er als avantgardistischer Komponist bis dahin gemacht hatte. Gewiss hat der Auftraggeber, ‘Perkins Engines’, Penderecki inspiriert, denn die Musik hat etwas Maschinelles, aber er sieht das Werk eher als eine Folge von vier streng symmetrischen Sätzen, mit denen er im eigenen Denken die Welt von Null ausgehend neu aufbauen wollte.
Die Aufnahme ist beeindruckend in ihrer musikalischen Strenge, die klangliche Opulenz allerdings nicht ausschließt. Eine packende Spannung und eine durchaus ätherische Stimmung charakterisieren die Interpretation, die von der ‘Sinfonia Iuventus’ technisch brillant umgesetzt wird.
So sehr die Erste Symphonie ein Ausbruch aus seiner Welt ist, so sehr ist die Zweite (1979-80, uraufgeführt vom ‘New York Philharmonic’ unter Zubin Mehta), eine Affirmation einer viel später erfolgten Aussage, die Symphonie rette, « was am wichtigsten für die künstlerische und menschliche Dimension ist », wobei die künstlerische Dimension imperativ zu einem Rückblick führt, zu einer kreativen Synthese, während die humanistische Dimension mit dem Drama der menschlichen Existenz eng verbunden ist.
Die zweite Symphonie macht diesen Rückblick, indem sie an die Zeit vor der Avantgarde anknüpft, an die Postromantik, und sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Die ‘Weihnachtssymphonie’, wie sie wegen eines Zitats aus ‘Stille Nacht’ auch betitelt wird, muss unbedingt im Kontext der gesellschaftlichen Situation in der Entstehungszeit gesehen werden. Die aufgewühlte Symphonie ist daher alles andere als eine besinnliche Weihnachtsmusik.
Der dirigierende Komponist unterstreicht das mit einem soghaften Musizieren. Erst gegen Schluss kommt ein emotional stringenter, von Hoffnung gekennzeichneter Jubel auf, über den er selbst so sehr erstaunt gewesen sein mag, dass er ihn mit niederdrückender Geste relativiert. Das ‘Stille Nacht’-Thema taucht wieder auf und beendet das verstörende Werk recht versöhnlich, lässt den Zuhörer aber mehr als nachdenklich zurück.
Die souveräne Gestaltung dieser Symphonie verdeutlicht den Eindruck, dass Penderecki in diesem für ihn so neuen Stil mit einer derartigen Perfektion komponiert und orchestriert, als habe er sein Leben lang nichts anderes geschrieben. Die ‘Sinfonia Iuventus’ macht ihrem Ruf alle Ehre und spielt emotional packend, dramatisch und mit kraftvollem Ausdruck.
Die Dritte Symphonie hat mit 16 Jahren eine lange Entstehungszeit. Zwei früher fertig gewordene Sätze wurden 1988 unter dem Titel ‘Passacaglia’ uraufgeführt. Die ganze Symphonie erklang erstmals 1995 in München. Dass Penderecki die dunklen Streicher liebt und immer wieder in seinen Symphonien Cello- Kontrabass-‘Schritte’ benutzt, zeigt sich am Anfang der Dritten, die wie eine Hommage an Bela Bartok klingt. Andererseits ist sie die klangliche Bestätigung des in der Zweiten Symphonie entwickelten Stils und, wie alle späteren Werke, unverkennbar Penderecki II, so wie die Kompositionen aus der avantgardistischen Zeit, ‘Threnos’, ‘De Natura Sonoris’, ‘Polymorphia’ etc., unverkennbar Penderecki I sind.
Dem rhythmischen zweiten Satz der Dritten folgt ein Adagio, dessen Charakter von den Blasinstrumenten bestimmt und in dieser neuen Aufnahme hinreißend stimmungsvoll gespielt wird. Die zuerst entstandene ‘Passacaglia’ bildet den 4. Satz der Symphonie. Ihr Charakter wird bestimmt von einem ostinatohaften Motiv der tiefen Streicher. Schon wieder sie! Zielstrebig wird der Höhepunkt aufgebaut, bis die Musik in sich zusammenfällt, und das Ostinato den Satz nachdenklich zu Ende führt. Dieser reflektive Moment gelingt dem Komponisten in dieser Aufnahme besonders gut, weil er eine Portion an Irreellem, ins Außerirdische Zeigendem enthält. Als wolle er diese Gedanken verscheuchen, folgt nach einer sehr knappen Pause von nicht ganz 2 Sekunden das Scherzo mit seinem Feuerwerk an Orchesterfarben.
Die vierte Symphonie wurde vom ‘Orchestre National de France’ zur 200-Jahr-Feier der Französischen Revolution bestellt und am 26. November 1989 unter der Leitung von Lorin Maazel uraufgeführt. Das Werk ist auf die Spannung aufgebaut, die zwischen sehr heftigen, manchmal sogar wuchtigen Teilen und einem immer wiederkehrenden elegischen Klagegesang entsteht. Anders als Antoni Wit, der sehr stimmungssuggestiv, bildhaft und mit elektrisierender Spannung dirigiert (aber meistens etwas langsamer als Penderecki selber), geht der Komponist die Musik etwas nüchterner an, ganz auf die klangliche Wirkung bauend. Er hat nicht die Revolution und ihre unmittelbaren Auswirkungen im Sinn, sondern das Geistige, das dahinter liegt.
Die Symphonie Nr. 5 wurde 1992 in Seoul uraufgeführt. Sie hat einen in mehrere Sektionen eingeteilten, überaus kontrastreichen Satz und enthält Motive aus koreanischen Volksliedern. Penderecki fesselt unser Gehör gleich mit einem charakteristischen Akkord, diesmal nicht mit den ganz tiefen Streichern, sondern mit den Bratschen. Das Ganze klingt wie ein Klagegesang, der in dem kontrastreichen Werk mehrmals auftaucht, so als sei jedes Aufleben der Musik zu unterdrücken. Nach einer echt verspielten Passage kommt nämlich eine Art Trauerprozession mit Glockengeläut. Auch auf ein quirliges Scherzo und andere dramatischere Teile gibt es nur klagevolle Antworten. Als werde er selber damit nicht fertig, beendet der Komponist das Werk eher aggressiv. Diese Symphonie scheint symbolisch zu sein für Pendereckis Leben im Wechsel der Stille, die er in seinem Haus und in seinem Arboretum in Lusławice erfährt (und genießt), und der Außenwelt, die, wie er es einmal formulierte, « oft brutal in mein Innenleben eindringt ».
Die Interpretation zeugt vom souveränen Umgang der ‘Sinfonia Iuventus’ mit Pendereckis nicht gerade einfach zu spielender Musik.
Eine Sechste Symphonie gibt es nicht, noch immer nicht! Ob es sie wohl je geben wird? Etwas davon muss aber da sein, sonst hätte Penderecki ihr den Platz nicht reserviert…
Mehr Oratorium als Symphonie ist die Siebte Symphonie ‘Ad maiorem Dei gloriam et eius sanctae civitatis laudem aeternam’ geschrieben und so ein eindringliches Bekenntniswerk des ‘Homo religiosus’ Penderecki, zugleich aber mit seinem mahnenden Charakter ein Zeigefingerwerk, in dem (einmal mehr) recht wenig Versöhnliches zu spüren ist, selbstwenn hellere Töne des Lichts hin und wieder doch für Hoffnung sorgen.
Aus der Geschichte des jüdischen Volkes scheint Penderecki die Atmosphäre übernommen zu haben, den Ausdruck der Leidenschaft, die Klage, die Kraft, im Leiden zu lobpreisen: all das äußert sich im dramatisch-stoisch geführten Kampf der absteigenden und aufsteigenden Linien. ‘Seven Gates of Jerusalem’ – so der Untertitel der Symphonie – ist ein gewaltiges, ein aufrüttelndes Werk.
Die Besetzung der 1996 als Auftragswerk des ‘Jerusalem Symphony Orchestra’ sowie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks entstandenen Komposition ist enorm: Drei gemischte Chöre, fünf Solisten, ein Sprecher und großes Orchester, in dem sich selbst entworfene Schlagzeuginstrumente ebenso befinden wie die auch von Penderecki nach Instrumenten neuseeländischer Ureinwohner entwickelten Tubaphone.
Nach der Liveaufnahme unter Kord bei Wergo, der Naxos-Produktion unter Antoni Wit, Pendereckis eigene Aufnahme aus Krakau (bei Dux) und dem von ihm ebenfalls selber dirigierten Video ist dies nun die fünfte Aufnahme, die es von dieser Symphonie gibt. Klanglich gesehen ist es die majestätischste, das ist bedingt durch den Raum, wo die Aufnahme entstand, die gewaltige Herz-Jesu-Basilika in der polnischen Hauptstadt. Manches mag dabei an musikalischer Feinzeichnung verloren gehen, aber von der Stimmung her, und durch die Erfahrung der ganzen architektonischen Größe ist die Einspielung überwältigend. Hier verschmilzt mehr als in den anderen Aufnahmen die geistige Erregung der Musik mit ihrer Dramatik und ihrer Emotionalität.
Die Musik wird sozusagen zum Klanguniversum, sie sprengt die Tore Jerusalems und umfasst den Erdball in einem von Unsicherheit und beklemmender Gottesfurcht gezeichneten Gesang der Hoffnung: « Singet dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn, alle Länder der Erde! »
Solisten, Chor und Orchester sind erstrangig, total involviert und bringen so eine Symphonie, die ich für eine der nachhaltigsten und eindringlichsten der letzten 50 Jahre halte, zu einer ungemein starken Wirkung. Die klanglich sehr direkte und betont rhythmische Aufnahme von Kasimierz Kord – ich liebe seine kräftigen Bass-Akkorde – wird hier deutlich durch geistige Elevation überboten. Selbst gegenüber Pendereckis vorigen Interpretationen ist diese hier, obwohl monumentaler im Klang, weitaus vergeistigter, weicher und breiter, lyrischer und spiritueller.
Krzysztof Penderecki komponierte seine achte Symphonie als Auftragswerk der Luxemburger Regierung für die Eröffnung der Philharmoniein Luxemburg. Sie trägt den Titel ‘Lieder der Vergänglichkeit’ (Chants de l’éphémère) und ist geschrieben für drei Solisten, Chor und Orchester, auf Gedichte von Hermann Hesse, Bertolt Brecht, Joseph von Eichendorff, Heinrich Heine, Johann Wolfgang von Goethe, Karl Kraus, Achim von Arnim Rainer Maria Rilke und Hans Bethge.
Das imposante Werk wurde am 26 Juni 2005 in Luxemburg uraufgeführt von Olga Pasichnyk, Sopran, Agnieszka Rehlis, Mezzosopran, Wojtek Drabowicz, Bariton, der Europa- ChorAkademie und dem Philharmonischen Orchester Luxemburg unter der Leitung von Bramwell Tovey.
Mit Ausnahme von Agnieszka Rehlis sind in dieser neuen Aufnahme andere Solisten zu hören: Iwona Hossa singt den Sopranpart, Thomas E. Bauer ist der Bariton – und mit seiner ausdrucksvollen Stimme der beste der drei Sänger, die ich in diesem Werk gehört habe. Doch das ist nicht der einzige Unterschied im Vergleich zur Uraufführung und zur Wit-Einspielung bei Naxos: Penderecki hat nämlich drei Lieder hinzugefügt und die Spieldauer der Komposition damit von 40 auf fast 50 Minuten erhöht, gleichzeitig aber auch eine Neugliederung der Lieder vorgenommen.
Die Symphonie mit ihrer moderat-modernen und sehr lyrischen Sprache hatte mich weder bei der Uraufführung noch in der Wit-Interpretation stark beeindruckt. Das hat sich nun geändert. Mehr als in allen anderen Symphonien waren, das zeigt sich hier sehr deutlich, die dirigierende Hand des Komponisten und vor allem sein Charisma notwendig, um dem Werk seine richtige Gestalt und seine wirkliche Ausdruckskraft zu geben.
Neben dem deutlichen Gewinn, den Thomas E. Bauer bringt, ist es auch in dieser Symphonie die ‘Sinfonia Iuventus’, die mit einem spannungsvollen und technisch hervorragenden Spiel die Messlatte höher legt als das die Kollegen von der Warschauer Nationalphilharmonie vermochten. Wie so oft, wenn ein Jugendorchester auf eine bereits zu Lebzeiten legendäre Figur trifft, ist das Resultat der Begegnung exzeptionell. Die jungen Musiker des Polnischen Jugendorchesters spielen so konzentriert, sind so unter Spannung, dass sie der Musik eine neue Ausdruckskraft geben.
Eine weitere Feststellung drängt sich auf: Die neue Dux-Gesamtaufnahme zeigt uns einen sehr nachdenklichen Dirigenten Penderecki, der mit dem Komponisten Penderecki in die Tiefe geht. Penderecki stellt sich somit als Klangphilosoph vor, der bei aller Wehmut, bei der oft geäußerten Beklemmung, nie die Bereiche der Leere und Depression erfasst, ganz im Gegenteil. Das Ritual der Nachdenklichkeit, das sich von Symphonie zu Symphonie btärker bemerkbar macht, geht immer einher mit Sehnsucht und Hoffnung.