Nachdem es Orpheus nicht gelungen ist, seine Frau Eurydike aus der Unterwelt zu retten, verzichtet er auf Wein und Frauenliebe. Dies beleidigt den Gott Bacchus, der seine weiblichen Anhänger, die Mänaden, dazu drängt, Orpheus zu töten. Die wütenden Mänaden reißen ihn auseinander. Die Götter wollen, dass der tote Orpheus zu ihnen auf den Olymp kommt, aber Orpheus will mit Eurydike im Hades wiedervereinigt werden. Erst nachdem der Gott Merkur ihm zeigt, dass Eurydike, nachdem sie das Wasser der Lethe getrunken hat, sich nicht mehr an ihren Mann erinnert, willigt Orpheus ein, auf den Olymp aufzusteigen.
Dieses göttliche Spiel hat Stefano Landi als La Morte d’Orfeo um 1619 ein Jahrzehnt nach Monteverdis L’Orfeo gesetzt. Sie wird als « pastorale Tragikomödie » beschrieben, und das anonym verfasste Libretto könnte auch von Landi selbst stammen. Als erste weltliche Oper im römischen Stil gehandelt, in fünf Akten geordnet, wurde sie in Amsterdam ohne Pause aufgeführt, was auch dem DVD-Publikum die Möglichkeit gibt, richtig einzutauchen.
Die Themen der Frauenfeindlichkeit und Grausamkeit erinnern unverzüglich an die #MeToo-Bewegung von heute, sagt Regisseur Pierre Audi. Er kann aber auch die Leichtigkeit der Feier hochleben lassen, die die Götter zu Ehren des Geburtstages von Orpheus abhalten, um den Helden von seinen Sorgen abzulenken. Audi zeigt den Kampf zwischen apollinischen und dionysischen Charaktereigenschaften im Orpheus und verwandelt ihn in einen Stern.
Die Inszenierung in Verbindung mit dem herrlichen, lebendigen Tempo von Rousset erweckte das Werk zum Leben. Ein Baum hängt schwebend auf der Bühne, nackt in dem, was oberirdisch wäre, aber mit rosenblühenden Wurzeln als Spiegelbild der Kargheit der Existenz Orfeos ohne Eurydike. Die Bühne wird oft geteilt, um eine nahtlose Bewegung von einem Kosmos zum anderen zu ermöglichen. Die Reise von der Dunkelheit zum Licht zeigt Orpheus mit seinem Wechsel von einem schwarzen zu einem glitzernden silbernen Anzug.
Die Chöre werden von den Figuren auf der Bühne vorgetragen. Das löst dramaturgische Probleme und zeigt, dass alle Figuren in irgendeiner Weise für das Ende von Orpheus verantwortlich sind. Dass der Chor nicht immer ganz synchron singt, überrascht.
Der Klang ist perfekt kalibriert, die Ausgewogenheit zwischen Orchesterkräften und Sängern tadellos. Viele Akteure haben mehrere Rollen zu bewältigen. Cecilia Molinari ist ein hervorragendes Teti, ihre Rollen gipfelten in einer bewegenden Eurydike. Orfeo hat zwar nicht viel zu singen, aber was er hat, macht er stark. Der argentinische Tenor Juan Francisco Gatell ist in seiner ausgedehnten Arie ‘Gioite al mio natal, crinite stelle’ leicht und beweglich, seine Phrasierung in den späten Phasen der Oper ist umwerfend. Bacchus ist eine wichtige Rolle. Er wird von dem polnischen Countertenor Kacper Szelazek, auch Mercurio, stimmgewaltig und mit großer Präsenz dargestellt. Der herausragende stimmliche Beitrag des Abends kommt jedoch von der Aurora der Mezzosopranistin Gaia Petrone. Sie hat die Fähigkeit, die Emotionen so real und präsent zu zeigen, wie sie heute in einem Menschen sein würden. Salvo Vitale ist ein fabelhaft präsenter Caronte. Seine Schlussakt-Szene mit Orfeo gelingt brillant. Emiliano Gonzalez Toro ist ein hervorragend fokussierter Ireno. Der Bariton Renato Dolcini als Orpheus’ Bruder Fileno, der Kalliope den schrecklichen Tod ihres Sohnes mitteilen muss, erregt auch noch Aufmerksamkeit. Dolcini zeigt einen ausdrucksstarken Fileno, dessen Emotionen in lebensgroßem Maßstab präsent sind, auch in seiner Stimmführung. In der gleichen Szene beweist die junge Altistin Magdalena Pluta, dass mehr Stille und mehr Distanz auch distanzierter wirken können. In einer ergreifenden Cameo-Rolle porträtiert sie Calliope als eine Mutter, die das Schreckliche, Flüchtige einfach nicht begreifen kann. Ihr gelingt in diesem vierten Akt ein innerer Ausdruck mit Prägnanz. Das ergibt nicht nur die längste, sondern auch die intimste und innigste Szene der Oper.
Les Talens Lyriques zaubern klingende Universen aus dem Orchestergraben. Sie scheinen Erweiterungen von Roussets Ideen zu sein. Eine solche Perfektion bei authentischen Instrumenten muss man lange suchen, sei es bezüglich Artikulation, Genauigkeit oder in der Stimmung.