Die musikalische Qualität dieser frühen Richter-Aufnahmen ist sehr hoch. Man erlebt einen quasi wilden Pianisten, der an Grenzen geht und die Werke von Liszt absolut phänomenal darbietet. Kondrashins Studio-Aufnahme des 1. Liszt-Konzertes ist der von Ancerls Live-Aufführung etwas überlegen. Auch das im Studio eingespielte 2. Klavierkonzert mit dem LSO und Kondrashin ist dem Live-Mitschnitt mit dem doch sehr mittelmäßigen Bolshoi-Orchester, ebenfalls unter Kondrashin, vorzuziehen. Aber auch Chopins Balladen, Walzer, Nocturnes, Mazurken, Polonaisen, Scherzi und Präludien finden in Richter einen ebenso intelligenten wie virtuosen Gestalter, der auch hier immer wieder bis an die Grenzen des Möglichen geht.
Da es sich bei den meisten Aufnahmen um Live-Mitschnitte handelt, ist die Aufnahmequalität nicht besonders gut. Und wer so wild und leidenschaftlich spielt wie Svjatoslav Richter, der darf sich dann auch erlauben, mal falsche Noten zu treffen. Also: Wer sich akkurate, klangvolle und transparente Aufnahmen wünscht, der ist mit dieser Box schlecht beraten. Wer aber Leidenschaft und geniale Virtuosität sucht und dabei einen schlechten Klang und pianistische Fehlgriffe in Kauf nimmt, der wird mit dem ‘wilden Svjatoslav’ seine Freude haben.
Das Booklet zu diesem Set ist leider etwas dürftig geraten. Dass voll mitgestaltende Künstler auf dem Cover als ‘special guests’ bezeichnet werden, ist auch eher erstaunlich, kann die Qualität der Musik allerdings nicht beeinträchtigen.