Ein Artikel von Alain Steffen
Musik hat in San Francisco schon immer eine große Rolle gespielt. Seit dem Goldrush in der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es klassische Konzerte. 1895 gründete der deutsche Dirigent Fritz Scheel ein San Francisco Symphony Orchestra, das allerdings nicht wirklich der Vorgänger des heutigen SFSO ist. Nach dem großen Erdbeben von 1906 entschloss sich die Musical Society of San Francisco ein neues Orchester zu gründen, denn Scheels Klangkörper war nach dessen Weggang nach Philadelphia zerfallen und wurde auch nach 1906 nicht mehr aufgebaut. 1911 war es dann soweit. Unter der Leitung von Henry Hadley, einem amerikanischen Komponisten, fand das erste Konzert des neugegründeten San Francisco Symphony statt. Hadley hatte 61 Musiker aus Hotels, Restaurants und Theatern rekrutiert, so dass nach 16 Proben am 8. Dezember 1911 das erste Konzert mit Richard Wagners Ouvertüre ‘Die Meistersinger von Nürnberg’, Tchaikovskys 6. Symphonie, Haydns ‘Thema und Variationen’ sowie Liszts ‘Les Préludes’ stattfand. Hadley dirigierte das Orchester während vier Spielzeiten bis 1915 Alfred Hertz, ein Freund von Gustav Mahler und langjähriger Dirigent an der Metropolitan Opera in New York das Orchester übernahm. Bis jetzt waren die Musiker von Konzert zu Konzert engagiert worden; Hertz setzte es durch, dass langfristige Verträge gemacht wurden und somit eine feste Basis möglich war. Dies führte zu einer enormen Qualitätssteigerung innerhalb des San Francisco Symphony.

Erste Schallplattenaufnahmen mit Alfred Hertz

1925 wurden die ersten Schallplattenaufnahmen unter Alfred Hertz für Victor Talking Machine gemacht. Es waren dies die Ouvertüre zu ‘Fra Diavolo’ von Auber und den Anfang des ‘Karfreitagszaubers’ aus Wagners ‘Parsifal’. Alfred Hertz trat 1930 zurück, blieb dem Orchester aber als Gastdirigent weiterhin verbunden. Sein Abschiedskonzert wurde von 11.000 Zuhörern besucht. Danach war es natürlich schwierig, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Der britische Dirigent Basil Cameron und der Russe Issay Dobrowen teilten sich den Posten, doch schon nach kurzer Zeit hatte Dobrowen Basil Cameron aus dem Amt verdrängt. Die wichtigen Jugendkonzerte, die es von Anfang an immer wieder gegeben hatte, wurde 1933 zu einem festen Bestandteil der Programme. Inzwischen waren viele bekannte Komponisten und Dirigenten nach San Francisco gekommen, um das Orchester zu dirigieren. Genannt seien hier nur Ottorino Respighi, Serge Prokofiev und Maurice Ravel. Ganz junge Interpreten wie Yehudi Menuhin und Ruggero Ricci debütierten sowohl in der Ära Hertz wie auch in der Ära Dobrowen. Neue Impulse brachte der damals sehr berühmte Pierre Monteux, als er 1935 die Nachfolge von Issay Dobrowen antrat.

Eine legendäre Ära unter Pierre Monteux

Dank seiner Herzlichkeit und Wärme konnte er schnell das Publikum für sich und für die Musik des 20. Jahrhunderts gewinnen, der ja seine ganze Liebe gehörte. Dank Monteux erlebte das Orchester eine Glanzzeit. Stravinsky und Gershwin kamen nach San Francisco, ebenso Rachmaninov und Paul Hindemith; Arnold Schönberg dirigierte 1945 seine ‘Verklärte Nacht’, der später weltberühmte Violinist Isaac Stern hatte bereits 1936 im Alter von nur 15 Jahren debütiert. Es war die goldene Zeit des Orchesters.

Pierre Monteux (c) Blackstone

Pierre Monteux
(c) Blackstone

Monteux’ enormes Repertoire und Wissen, sein Einsatz für die neue Musik und vor allem seine Beliebtheit beim Publikum und bei den Musikern halfen wesentlich mit, aus San Francisco ein sehr wichtiges musikalisches Zentrum in den USA zu machen. Viele Uraufführungen fanden statt, viele amerikanische Werke wurden hier zum ersten Mal aufgeführt wie beispielsweise  die von Roger Sessions und Walter Piston. Aber auch Bloch und Vaughan Williams wurden hier uraufgeführt. Die schwarze afro-amerikanische Sängerin Marian Anderson debütierte 1937 in San Francisco, ehe sie wegen ihrer Hautfarbe drei Jahre später nicht mehr auftreten durfte. 1941 fand die erste Schallplattenaufnahme mit Monteux und dem SFS statt: Es war dies die Symphonie von César Franck.  1945 folgte die ‘Symphonie fantastique’ von Berlioz.  1947 fand dann eine wahre Marathon-Tournee statt, die wohl einzigartig in der Geschichte der Musikwelt sein sollte: Innerhalb von 57 Tagen gab das SFS  sage-und-schreibe 56 Konzerte in 53 verschiedenen Städten! 1950 startete Arthur Fiedler die berühmten populären Pops-Konzerte, die er alljährlich während 30 Jahren dirigieren sollte. Nach 17 Jahren intensiver Arbeit zog sich Pierre Monteux zurück und wurde mit einem Can-Can, getanzt von 11 Musikern des SFS, verabschiedet. Seine Beliebtheit war während all dieser Jahre ungebrochen. 1953, als noch kein Monteux-Nachfolger gefunden war, leiteten Gastdirigenten wie Bruno Walter, Enrique Jorda und Alfred Wallenstein das Orchester.

Jorda, Krips und Ozawa

Die Wahl fiel dann auf den sehr beliebten Enrique Jorda, der wie Monteux eine Vorliebe für das moderne Repertoire hatte. Er leitete das SFS von 1954 bis 1963. In seine Ära fielen  beispielsweise das Debüt von Van Cliburn und Seiji Ozawa, und obwohl er viele bekannte Komponisten und Dirigenten nach San Francisco holte, konnte er das Orchester nie so prägen wie das Monteux getan hat. 1963 kam Josef Krips, der sich wieder vermehrt für das klassische Repertoire einsetzte. 1966 wurde das SFS vom Time Magazine unter die ‘Elite Eleven Orchestras’ gewählt. Aaron Copland und Rudolf Serkin kamen 1967, Copland mit einem zeitgenössischen Musica Viva-Programm und Serkin mit einem gefeierten Beethoven-Zyklus unter der Leitung von Krips. 1969 übernahm der junge Seiji Ozawa das Orchester. Drei Jahre später fanden die ersten Schallplattenaufnahmen für die renommierte Deutsche Grammophon Gesellschaft statt. Wie auch seine Vorgänger unterstützte Ozawa die Kinder-und Jugendkonzerte. Dank ihm kam es 1973 zur Gründung des SFS Chorus. Im gleichen Jahr führte Ozawa das Orchester auf eine große Europa- und Russland-Tournee. 1974 entstand mit Dvoraks Symphonie ‘Aus der Neuen Welt’ die erste Aufnahme für Philips. Im gleichen Jahr debütierte Michael Tilson Thomas mit dem SFS. Ozawa blieb bis 1977 beim SFS, er wechselte zu dem damals renommierteren Boston Symphony Orchestra, dem er über 2 Jahrzehnte als Chefdirigent verbunden bleiben sollte.

Ein Holländer und ein Schwede

Sein Nachfolger wurde der holländische Dirigent Edo de Waart, der als Spezialist für moderne Musik galt und bei dem weltoffenen SFS ideale Arbeitsbedingungen vorfand. 1978 wurde der Grundstein zur Davies Symphony Hall gelegt, einem Konzertsaal, in dem das Orchester bis heute spielt und der 1980 eröffnet wurde. De Waart rief 1979 gleich zwei Festivals ins Leben: das Beethoven- und das Mostly Mozart-Festival. Ein junger amerikanischer Komponist namens John Adams stieß als musikalischer Berater zum Orchester. Zusammen mit Edo de Waart begannen sie, ein neues Repertoire mit unbekannten zeitgenössischen Werken zu erarbeiten. Adams wurde ebenfalls der erste ‘Composer in residence’ des SFS. Die Jahre unter de Waart waren Jahre des Umbruchs und der Erneuerungen. So entstand 1981 ebenfalls das ‘San Francisco Youth Orchestra’. De Waart blieb bis 1984 in San Francisco und wurde dann durch den schwedischen Dirigenten Herbert Blomstedt ersetzt.

Herbert Blomstedt (c) M. Lengemann

Herbert Blomstedt
(c) M. Lengemann

Blomstedt führte das Orchesterauf eine wichtige Europa- und auf eine Asientournee und begann, für Decca aufzunehmen. Seine Einspielung der Symphonien von Carl Nielsen ist bis heute nicht übertroffen worden. Insbesondere auf spieltechnischem Niveau leistete das Orchester Beachtliches, so dass das SFS endlich ins amerikanische Spitzenfeld der sogenannten Big Five vorstossen konnte  und den Orchestern aus Chicago,  New York, Philadelphia, Boston und Cleveland in nichts mehr nachstand.

 

 

Liebe und Respekt – MTT und das SFS

Michael Tilson Thomas Photo: SFS

Michael Tilson Thomas
Photo: SFS

1994 übernahm Michael Tilson Thomas das ihm bestens bekannte Orchester und konzentrierte sich einerseits auf das etwas vernachlässigte russische Repertoire. Mit den Musikern erarbeitete er nach und nach die Symphonien und Lieder Gustav Mahlers. Das Resultat dieser langjährigen Auseinandersetzung ist auf CD festgehalten; MTTs Mahler ist zweifelsohne einer der homogensten und besten der Schallplattengeschichte. Durch seine Vielseitigkeit, seine unbändige Energie und seinen persönlichen Einsatz wurde MTT schnell zum Liebling des Publikums. Zahlreiche Aufnahmen, Tourneen, eine Residenz beim Lucerne Festival, das Keeping Score-Project  und noch viele andere Initiativen gehen auf Tilson Thomas zurück. Seine Beliebtheit ist nach wie vor ungebrochen. Kein Zweifel: MTT, von den Musikern geliebt und respektiert, ist für das San Francisco Symphony Orchestra der ideale Dirigent für das 21. Jahrhundert.

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