Die Atmosphäre des dritten Quartetts von Johannes Brahms ist heller als jene der beiden vorherigen Werken. In der vorliegenden Interpretation des Hagen-Quartetts wechseln im ersten Satz Passagen reinen Glücks und Momente von Schatten und Zweifeln ab. Kontraste erzeugen sie mit sehr weichem und pianissimo gespieltem Sotto voce. Das Andante profitiert vom souveränen, luftigen Klang von Lukas Hagen, der es in größter Ruhe zu einer Romanze werden lässt. Die Bratsche als Solistin im Agitato erstrahlt hier durch Veronika Hagen. Sie behandelt den Satz als Intermezzo, nicht als Scherzo, erst aufgeregt und dann elegisch rhapsodisch. Das Finale mit dem einfachen Thema im Volksliedcharakter wird mit einem speziellen Gefühl für die Kontinuität und die Sorge um den Kontrapunkt erkundet: eine durchdachte und raffinierte Interpretation!
Das Quintett ist eines von Brahms’ beliebtesten Werken. Das Hagen Quartett und der Pianist Kirill Gerstein ergänzen sich gut durchdacht und arbeiten solide. Aus der subtil gestalteten Kombination von Melodie und Rhythmus gelangen sie zum Kern der Komposition. Die hochmodulierende Entwicklung des Andante ist flexibel und die lange Coda wird sicher beschleunigt, um das energetische Tempo des Satzbeginns wiederherzustellen. Das Andante ist lyrisch und wird angeführt von Kirill Gersteins ausdrucksstarkem Klavieranschlag. Es wirkt dabei etwas melancholisch. Das Scherzo wird fast atemlos vom Klavier angetrieben, ohne jedoch die Kanten scharf werden zu lassen. So wird ein nördlicher, fantastischer, fast epischer Charakter offensichtlich. Im Finale folgt eine Allegro-Episode, die die Interpreten feingliedrig artikulieren und so weit wie möglich zu der Presto-Sektion drängen.
Der Vorrang gilt dem Anliegen der Verfeinerung vor einem germanischen Ansatz. Die Künstler erforschen den Reichtum der Zeichnung, ohne die Ausdruckskraft aufzugeben. Wie immer bei ihnen ist jede Sequenz durchdacht und das Ergebnis von zentraler Bedeutung. Kirill Gersteins Spiel passt perfekt in diese Vision. Dies verleiht dieser Aufführung einen prominenten Platz in der Diskographie des Quintetts.
Die Aufnahmen, die bis ins Jahr 2014 zurückreichen und in Köln und in Bremen entstanden, zeichnen sich durch ihre Unmittelbarkeit aus. Was das Quintett betrifft, so wird die Balance zwischen Klavier und Streichinstrumenten in einer offeneren Akustik fein herausgestellt.