Ludwig van Beethoven: Violinkonzert op. 61; J.S. Bach: Violinkonzert BWV 1042; + Magnificat BWV 243; Vivaldi: Violinkonzerte op. 8 Nr. 1-4 (Die vier Jahreszeiten); Anne-Sophie Mutter, Judith Blegen, Helga Müller-Molinari, Francisco Araiza, Robert Holl, RIAS Kammerchor, Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan 1 Blu-ray C-Major755304; Stereo & Surround; Bild 4:3; Aufnahmen 1984-1987, Veröffentlichung 10/2020 (151') - Rezension von Remy Franck
Herbert von Karajan hat Beethovens Violinkonzert mehrmals aufgenommen, 1955 mit Wolfgang Schneiderhan, 1967 mit Christian Ferras und 1981 mit Anne-Sophie Mutter. Und dann gibt es auch noch diese Videoaufnahme von 1984. Die Einspielung mit Ferras mag ich wegen ihrer raffinierten Eleganz und ihrem einzigartigen Melodienfluss. Anne-Sophie Mutter bringt in ihrem Spiel etwas zum Ausdruck, was nur schwer zu beschreiben ist: es ist eine Mischung von Leidenschaftlichkeit, Poesie und Lebendigkeit, die einen permanent im Gefühl lässt, das, was sie spielt, sei etwas Neues, eine Kreation, eine Improvisation auch vielleicht. Keine Spur von einstudierter Routine, nichts Artifizielles! Gleichzeitig spürt man auch eine gewisse Traurigkeit in dieser Interpretation, so als sei die Geigerin doch berührt von der zu dem Zeitpunkt abnehmenden Kraft des Dirigenten.
Karajan weiß dieses herrliche Spiel meisterhaft in den Orchesterklang einzubetten. Insgesamt ist Karajans Auffassung dieses Konzerts wohl romantischer geworden. Was aber dieses Interpretation auszeichnet hat Anne-Sophie Mutter sehr zutreffend in einem Pizzicato-Interview so formulierte: « Seine (Karajans) Sichtweise vom Beethoven-Konzert ist eine, die mich bis heute am meisten geprägt hat und immer noch prägt. Es war dieser epische Gedanke, diese langen, melodischen Bögen, die Beethoven zwar nicht unbedingt auskomponiert hat, die man aber durchaus mental begreifen und spüren kann. Und wenn man sich dieser unsichtbaren Linie, deren Erarbeitung eine unwahrscheinliche Konzentration voraussetzt, bewusst ist, dann kann man auch die Architektur des Werkes bereits vorspüren. Und von Herbert von Karajan habe ich dieses Vorspüren der Architektur gelernt. Und daraus resultiert dann die innere Spannung. Auch wenn man heute noch Karajans Aufnahmen anhört, es ist immer wieder diese innere Spannung, die sich auf einen großen unsichtbaren Bogen stützt, die sein Musizieren auszeichnet. »
Die übrigen Liveaufnahmen dieser Videoproduktion bringen Barockmusik zu Gehör, von der wir mittlerweile ganz andere Höreindrucke haben. Dennoch tut es gut, Bach mal in einem so opulenten und schönen Klang zu hören. Auch Vivaldis Vier Jahreszeiten sind durchaus nicht zu verwerfen, weil die Einspielung zutiefst musikalisch ist und die Musik diesen Glanz auch verträgt. Herbert von Karajan bemüht sich um eine Darstellung des literarischen Textes aufgrund dessen Vivaldi ja komponierte. und die nicht auf die Jahreszeiten im Allgemeinen bezieht, sondern auf Mensch und Tier, auf die Flora und auf den Himmel, die diese Jahreszeiten erleben. Wir hören Vögel, wir hören Winde, wir ‘sehen’ Blumen. Man vernimmt das Lamento des Ziegenhirten, erkennt Mückenschwärme, tanzende Bauern, Jäger und sterbendes Wild, Schlittschuhläufer und anderes mehr.
Das zweite, worum sich Karajan bemüht, ist die Ausarbeitung musikalischer Formen: Gar viele Passagen klingen ob dieser konsequenten Recherche neu; das steigert den durch seine Anschaulichkeit ohnehin hohen Klangreiz der vier Kompositionen.
Dass die Berliner Philharmoniker und Anne-Sophie Mutter die Intention des Dirigenten musikalisch in unvergleichlicher Art realisieren, muss es eigens unterstrichen werden?
Herbert von Karajan recorded Beethoven’s Violin Concerto several times, in 1955 with Wolfgang Schneiderhan, in 1967 with Christian Ferras, and in 1981 with Anne-Sophie Mutter. And then there is this video recording from 1984.
I like the Ferras recording because of its refined elegance and unique melodic flow, yet, in her playing, Anne-Sophie Mutter expresses something that is difficult to describe: it is a mixture of passion, poetry and liveliness, which leaves you permanently with the feeling that what she plays is something new, a creation, an improvisation perhaps. No trace of rehearsed routine, nothing artificial! At the same time, one can notice a certain sadness in this interpretation, as if the violinist was touched by the conductor’s diminishing strength.
Karajan knows how to masterfully embed this wonderful playing into the orchestra sound. Overall, Karajan’s interpretation of this concerto has probably become more romantic. In a Pizzicato-interview Anne-Sophie Mutter very aptly underlined the characteristic of this interpretation: « His (Karajan’s) view of the Beethoven Concerto is one that has had the greatest influence on me to this day and continues to do so. It was this epic thought, these long, melodic arcs, which Beethoven did not necessarily compose out, but which one can certainly understand and feel mentally. And if one is aware of this invisible line, the elaboration of which requires an improbable concentration, then one can already sense the architecture of the work. And from Herbert von Karajan I learned this feeling for architecture. And that is where the inner tension comes from. Even if you listen to Karajan’s recordings today, it is always this inner tension, which is based on a large invisible arch that distinguishes his music-making. »
The other live recordings of this video production bring baroque music to the ear, of which we now have completely different listening impressions. Nevertheless, it is good to hear Bach in such an opulent and beautiful sound. Vivaldi’s Four Seasons is also not to be discarded at all, because the recording is deeply musical. Herbert von Karajan endeavours to present the literary text on the basis of which Vivaldi composed and which does not refer to the seasons in general, but to men and animals, to the flora and sky which experience these seasons. We hear birds, we hear winds, we ‘see’ flowers. We hear the lament of the goatherd, we recognise swarms of mosquitoes, dancing farmers, hunters and dying game, skaters and more.
The second thing Karajan is concerned with is the elaboration of musical forms: Many passages sound new due to this consistent research; this increases the already high sound stimulus of the four compositions due to their vividness.
The Berlin Philharmonic and Anne-Sophie Mutter realise the conductor’s intentions musically in an incomparable way.