Im sibirischen Gulag schrieb Vsevolod Zaderatsky seine 24 Präludien & Fugen, ohne Klavier, ohne Radiergummi, mit einem kleinen Bleistift auf Telegrammformulare. Im Dezember 2014 wurde der Zyklus in Moskau uraufgeführt, in der Stadt aus der einst der Befehl kam, Zaderatzky nach Sibirien zu verschleppen. 10 Jahre Haft ohne Recht auf Briefwechsel bekam er, weil er Werke faschistischer Komponisten (Wagner und Strauss) mit einem Schulorchester aufgeführt hatte.
Jascha Nemtsov legt nun die erste Einspielung des rund zweistündigen Zyklus’ vor (nachdem er zuvor bereits die 24 Präludien von 1934 aufgenommen hatte).
Obwohl einige der 48 Klavierstücke sehr bedrückt wirken und andere die unmögliche Lage des unter unmenschlichen Bedingungen lebenden Gefangenen durch eine fast maschinelle Motorik wiederzugeben scheinen, ist die melodische Erfindungskraft des Komponisten generell ebenso wenig beeinträchtigt gewesen wie sein Metier in der Beherrschung der Form. Das heißt, dass es kein durchgehender Trauer- und Seufzerzyklus ist, den wir hier hören, sondern eine manchmal sogar liedhafte und verspielte Musik, die sich nie wiederholt.
Auf gleichbleibend hohem technischen Niveau – und die Musik ist diesbezüglich wirklich anfordernd – bringt Nemtsov den individuellen Charakter jeden Stückes zum Ausdruck, so dass der Hörer immer wieder durch die hier nachdenkliche, dort virtuose, mal emotionale oder energetische, mal melancholische oder ironische, manchmal sogar regelrecht humorvolle Rhetorik gepackt wird und die unablässig sich erneuernden Ideen der Musik genießt.