Das diesjährige, von Intendant Linus Roth ausgerichtete Festival Schwäbischer Frühling in Ochsenhausen stand im Zeichen der Viola und des Artist in Residence Nils Mönkemeyer. Remy Franck berichtet.
Das festliche Eröffnungskonzert enthielt ein durchkomponiertes Programm mit vielen inneren Bezügen. Bratschist Nils Mönkemeyer begann das Programm ganz allein mit John Dowlands Lachrimae antiquae für Viola: ein sehr intimer, unspektakulärer Beginn, dafür aber ein umso bewegender. Darauf folgte jenes Werk von Benjamin Britten, das Bezug nimmt auf das Dowland-Stück, Lachrymae – Reflections on a song of Dowland für Viola und Streichorchester op. 48, ebenfalls eine introvertierte, ungemein feine Komposition. Britten hat noch kurz vor seinem Tod die Fassung für Bratsche und Streicher hergestellt: eine tiefe Meditation über das Lied von Dowland, das zunächst bruchstückweise aufglüht und erst am Schluss prägnanter erscheint. Das Stuttgarter Kammerorchester, angeführt von Konzertmeisterin Susanne von Gutzeit, lieferte den orchestralen Teppich, auf dem sich Nils Mönkemeyers Viola ebenso mysteriös wie einschmeichelnd bewegte. Das ergab eine äußerst spannende und kontrastreiche Darbietung dieses eigentlich sehr modernen Werks, in dem Mönkemeyer und die Stuttgarter den emotionalen Charakter der Musik betonten.
Das Konzert für Klarinette, Viola und Orchester op. 88 von Max Bruch, auch Doppelkonzert genannt, ist ein Spätwerk aus dem Jahr 1911 und ein wichtiges Werk in seinem Repertoire. Es gibt auch eine Transkription des Werkes für Violine anstelle der Klarinette und Streichorchester, von Bruch selbst gefertigt. Diese war in diesem Konzert zu hören, mit einem wunderbaren ‘Gespräch’ zwischen den beiden Solisten, das diese höchst intensiv angingen und nie zu vergessen schienen, dass Bruchs Doppelkonzert ein typisches Produkt der Spätromantik ist, das nur mit Akzentuierung, Dynamik und Tempovariationen authentisch wiedergegeben kann. Das verlangt eine Bogentechnik, die Linus Roth und Nils Mönkemeyer perfekt beherrschten, um jene Vielfalt an Farben hervorzubringen, die Bruchs Intentionen wohl zu hundert Prozent entsprachen.
Und dann gab es Bezüge zwischen Frank Bridge und Benjamin Britten, mit der zweiten aus den 3 Idyllen vom englischer Komponisten, Dirigenten und Bratschisten Frank Bridge, der wohl vor allem wegen seiner Kammermusik bekannt ist und dessen Stück hier in einer sehr tiefschürfenden, nachdenklich-stimmungsvollen Darbietung zu hören war.
Darauf folgten ohne Unterbrechung Benjamin Brittens Variationen über ein Thema von Frank Bridge mit einem Thema, das der Komponist in Bridges zweiter Idylle gefunden hatte und das für ihn sehr gut passte in diesem ahnungsvollen Vorkriegswerk von 1937, in dem Britten Sorge, Verbitterung und in einem gewissen Sinn auch Hilflosigkeit ausdrückt. Nur selten habe ich Brittens Bridge-Variationen so vielschichtig gehört, von tieftraurig über schwungvoll, manchmal sogar gehetzt, tänzerisch schräg bis zu falsch klingendem Charme, fast gespenstischer Aktivität und geschwärzter Walzerseligkeit. Nur selten kam die innere Spannung und Zerrissenheit dieses Werkes so intensiv zur Geltung, denn die Art, wie das Stuttgarter Kammerorchester die Klang- und Ausdrucksschichten offen legte, war direkt beklemmend, und heute zumal besonders aktuell.
Tags darauf, an Christi Himmelfahrt, spielte Linus Roth in der Spitalkirche in Biberach Werke von Johann Sebastian Bach, die Sonate BWV 1001 sowie die Partiten BWV 1004 und 1006.
Linus Roths Kunst der Bach-Interpretation, das hatten zuvor auch seine Schallplatteneinspielungen gezeigt, definiert sich durch Ehrlichkeit und Einfachheit, ohne überflüssige Effekte und ohne betont modischen Look. Roth vertraut vollkommen auf die Musik und lässt sich eigentlich von ihr führen. Den technischen Herausforderungen der Werke wird der Geiger mit größter Selbstverständlichkeit und gleichzeitig auch tiefer emotiver Ausdruckskraft gerecht.
Das folgende Konzert wurde als ‘Barocke Jam-Session’ angekündigt und vereinte den Bratschisten Nils Mönkemeyer und Andreas Arend auf Laute und Theorbe. Virtuose Werke von Marin Marais, Giuseppe Tartini und Antonio Vivaldi wurden Musik von Erik Satie sowie modernen Jazz-Werken gegenübergestellt, was für ein ebenso abwechslungsreiches wie ungewöhnliches Konzert sorgte.
Der Geiger Linus Roth und der Pianist Julien Quentin begeisterten das Publikum tags darauf mit ‘Virtuosen Tänzen’ von Brahms, Bartok, Kreisler und Szymanowski. Wie schon auf der CD (da allerdings mit José Gallardo) war dies eine höchst schillernde Darbietung.
Mit Wolfgang Amadeus Mozarts Quintett für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncello KV 614, Krzysztof Pendereckis Quartetto per archi Nr. 4 sowie Antonin Dvoraks Quartett op. 34 wurde dem Publikum im Bibliothekssaal Ochsenhausen eine teils sehr klassisches, betont melodisches und oft auch unbeschwert-heiteres Programm angeboten, in dessen Mitte Krzysztof Pendereckis tiefschürfendes Quartett aus dem Jahre 2016 die Musik auch noch auf eine andere Ebene hob.
Nils Mönkemeyer und das Apollon Musagète Quartett waren die exzeptionellen Interpreten dieses außergewöhnlichen Kammermusikabends.
Die Sonntags-Matinee war das Abschlusskonzert des Meisterkurses des Cellisten Julian Steckel und ging dem Abschlusskonzert voraus, in dem die Geiger Linus Roth und Tassilo Probst (er ist der Gewinner eines Preises des International Classical Music Awards 2023), Nils Mönkemeyer, Julian Steckel und der Pianist William Youn.
Neben dem Duo für Violine und Viola KV 423 von Wolfgang Amadeus Mozart erklang das virtuos-leidenschaftliche Quartett Nr. 3 von Johannes Brahms sowie das viel zu selten aufgeführte, romantische Klavierquintett César Franck.