Der italienische Komponist Marco Enrico Bossi ist vor allem für seine Orgelwerke bekannt. Doch darüber hinaus war er einer derjenigen, die nach der Zeit der großen italienischen Opern dazu beitrug, eine absolute italienische Instrumentalmusik zu schaffen. Seine beiden Violinsonaten sind ein Beispiel dafür. Gerade diese Form war ein spannendes Konzept, da es die beiden Instrumente, die die romantische Idee der Virtuosität am besten verkörpern, den Zwängen einer von der Klassik geerbten Form unterwarf.
Die erste Sonate entstand im zeitlichen Umfeld anderer Violinsonaten, wie solchen von Saint-Saëns, Franck, Brahms, Richard Strauss sowie Grieg und Sibelius. Abgesehen davon, dass Bossi hier die Dissonanzen intensiv erkundet, ist das Werk mit kompositorischen Techniken wie zyklischer Form, entwickelter Variation sowie der Erkundung entfernter Tonalitäten gespickt, so dass man das Gefühl hat, dass das tonale Zentrum aufgelöst wird. Bossi konnte lange emphatische Linien wie bei Arien schreiben, aber vor allem baute er ein Geflecht auf, um seine Beherrschung von Kompositionskunst und Handwerk sowie seine Sensibilität für die Möglichkeiten dieser historischen Form zu zeigen.
Die Violinsonate Nr. 2 ist lang und hat vier Sätze. Der erste Satz nutzt die rhetorischen und strukturellen Elemente der Sonatenform mit einer Reihe klassizistischer Details. Aber eine Fülle von Zweideutigkeiten wie metrische Verschiebungen, Dissonanzen und bis zum Äußersten getriebene Tonartenbeziehungen weichen das auf. Im Scherzo verschwimmen die Gattungsgrenzen, da Bossi Formen und Stile vermischt. Der dritte Satz ist ein Moment tiefster expressiver Eloquenz. Der komplexe vierte Satz ist in seiner freien Form als Rondo zu sehen. Die Sonate zeigt, dass Bossi sich mit früheren Gattungsbeiträgen auseinandersetzen wollte. Dies ist feine Kammermusik, aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Interpreten Emmanuele Baldini und Luca Delle Donne setzen immer wieder mit wenig bekannten Sonaten in gekonnter Weise auseinander. Dabei nutzen sie ebenso ihre technischen Fähigkeiten wie sie die Werke in sorgfältig gestalteten Interpretationen musikalisch formen. So gelingt es Ihnen hier, die vielfältigen kompositorischen Details in den Sonaten von Bossi nachvollziehbar anzuzeigen und gleichzeitig den Fluss der interpretatorischen Linie aufrecht zu halten, so dass ihre Deutungen immer ein sehr gutes Bild der Werke vermitteln. Damit regen sie den Hörer an, ihrem Entdeckergeist zu folgen.
The Italian composer Marco Enrico Bossi is best known for his organ works. But he was also one of those who, after the era of the great Italian operas, contributed to the creation of absolute Italian instrumental music. His two violin sonatas are an example of this. This form in particular was an exciting concept, as it subjected the two instruments, which best embody the Romantic idea of virtuosity, to the constraints of a form inherited from the Classical period.
The first sonata was composed at the same time as other violin sonatas such as those by Saint-Saëns, Franck, Brahms, Richard Strauss, Grieg and Sibelius. Apart from the fact that Bossi intensively explores dissonances here, the work is peppered with compositional techniques such as cyclical form, developed variation and the exploration of distant tonalities, so that one has the feeling that the tonal center is dissolved. Bossi could write long emphatic lines as in arias, but above all he built a web to show his mastery of compositional art and craft as well as his sensitivity to the possibilities of this historical form.
The Violin Sonata No. 2 is long and has four movements. The first movement uses the rhetorical and structural elements of sonata form with a number of classicistic details. But an abundance of ambiguities such as metrical shifts, dissonances and key relationships taken to the extreme soften this. In the scherzo, the genre boundaries become blurred as Bossi mixes forms and styles. The third movement is a moment of profound expressive eloquence. The complex fourth movement can be seen in its free form as a rondo. The sonata shows that Bossi wanted to explore earlier contributions to the genre. This is fine chamber music from the second half of the 19th century.
Performers Emmanuele Baldini and Luca Delle Donne repeatedly tackle little-known sonatas in a skillful manner. In doing so, they use their technical skills just as much as they shape the works musically in carefully crafted interpretations. In this way, they manage to show the many compositional details in Bossi’s sonatas in a comprehensible way and at the same time maintain the flow of the interpretative line, so that their interpretations always convey a very good picture of the works. In this way, they encourage the listener to follow their spirit of discovery.