Auf seiner Debüt-CD spielt der 1993 geborene ukrainische Pianist Dmytro Choni ein Programm mit Werken des XX. Jahrhunderts. Den Gewinner der Paloma O’Shea Santander Piano Competition 2018 habe ich schon mehrmals live hören können und kam dabei zur Überzeugung, « dass er sich in den kommenden Jahren als einer der großen Interpreten am Klavier etablieren wird. Er ist in einem breiten Repertoire zuhause und findet für jeden Komponisten, dessen Werke ich mit ihm gehört habe, den genuin richtigen Zugang in technisch ausgefeilten Interpretationen, deren ernsthafter und intelligenter Ansatz zu unmanierierten, sehr natürlichen Darbietungen führt, die wirklich nie Beliebigkeit zeigen, sondern immer spannend sind. » Und diese CD bestätigt auch, was ich ebenfalls nach einem Konzert schrieb: « Seine Kunst des Phrasierens, des Singens, des Abtönens, aber auch die Kontrolle der Dynamik, die Transparenz und gegebenenfalls auch die stupende Virtuosität sind überragend. Von seinem Spiel geht somit immer die Aura höchsten künstlerischen Anspruchs und feinster Sensibilität aus ». Die Aufnahmen zeigen einen ernsthaften, sich um die Kunst des Interpretierens bemühenden Pianisten, der sich ohne irgendwelche Mätzchen, ohne Showgebaren, ohne Ego-Capricen in den Dienst der Komponisten und der Musik stellt. Eine derartige Seriosität kann man nicht genug würdigen.
In Claude Debussys Images, Bilder, steht der Titel für den Wunsch, mit den traditionellen Modellen der Musik des 19. Jahrhunderts zu brechen. Der Begriff Impressionismus war für den Komponisten jedoch nicht angemessen, und seine Klaviermusik ist eher eine Suche nach neuen Klängen. Das erste Bild, Reflets dans l’eau, Reflexionen im Wasser, das 1903, im selben Jahr wie La Mer entstand, suggeriert eine ‘flüssige’ Vision, ohne unbedingt beschreibend zu sein. Das gleiche gilt für die anderen Bilder, wo die Suche nach Formen mit der intimen Vision des Komponisten kombiniert wird.
Dmytro Coni hat die Leichtigkeit von Debussys Klangwelt nachempfunden, ohne die Wirkung der Farbe zu missbrauchen. Seine Interpretation, voller Klarheit, aber gleichzeitig auch mit viel Wärme, ist verinnerlicht und neigt in den Reflets und in Hommage à Rameau zum Poetischen, während in Mouvement das Drängende sich nicht motorisch äußert, sondern wie ein Kreisel dreht, der auch mal zu kippen droht und taumelnd Kraft nimmt für einen neuen Anlauf. Chonis Debussy ist rein und fein, perfekt in der Form, ohne Effekte, ohne übertriebene Verfeinerung, und immer kommunikativ musikalisch.
Ginastera komponierte drei Klaviersonaten, die erste im Jahre 1952, als der Komponist 34 Jahre alt war. Sie gehört der dritten Periode seines Schaffens an, dem ‘subjektiven Nationalismus’, in dem die nationale Komponente mit modernen Elementen gemischt wird.
Dmytro Choni steigt dramatisch in den ersten Satz, Allegro marcato, ein, jedoch nicht aggressiv, wie andere es getan haben. Das erlaubt es ihm, den Satz in einem sehr gut gesteuerten Bogen von Intensität und Entspannung zu organisieren.
Sehr energetisch und mit hoch virtuosem Drive folgt das Presto Misterioso, ehe Choni im Adagio molto appassionato sehr sensuell und reflektiv spielt. Nach dieser stockenden Melancholie bringt das Finale ekstatische Tanzbewegungen, in denen der ukrainische Pianist zeigt, dass er auch extremer Fingerakrobatik gewachsen ist.
Nach der quasi als farbig schillerndes, aber auch kontrastreiches Intermezzo eingeschobenen Fünften Etüde von György Ligeti bewundert man in Prokofievs Sechster Sonate eine Interpretation, in der sich intelligente Gestaltung, Virtuosität und technische Versiertheit auf idealste Weise ergänzen. In seinem atemberaubenden Spiel gelingt es Choni, den modernen Charakter dieser Sonate deutlich zu vermitteln, obwohl seine Tempi eher moderat sind (im Ganzen braucht er fast sechs Minuten mehr als Richter in seiner legendären Carnegie-Interpretation).
Bei Choni sind die rhythmische Strenge und die Ausleuchtung der Partitur hinsichtlich moderner Klänge ebenso beeindruckend wie die Fähigkeit, in einem kraftvollen Spiel immer wieder auch subtile Nuancen zu ermöglichen und generell eine farbenprächtige Auslegung von Prokofievs Musik zu erzielen, was vielen Pianisten nicht gelingt, die stur auf Vehemenz setzen. Dabei bleibt die zwingende Interpretation immer natürlich. Nichts wirkt aufgesetzt oder vorbereitet, so dass die Sonate den Hörer eine halbe Stunde lang magisch in ihren Bann zieht und nicht mehr loslässt. Wo andere junge Pianisten sehr gut spielen, besitzt Dmytro Chonis vollblutiges Spiel schon wirkliche Größe und einen genialen Atem. Ähnlich wie die größten Prokofiev-Interpreten, hat Choni ab der ersten Note den tiefen Kern der Musik erfasst und kann sie absolut richtig wiedergeben, musikalisch reicher als man dieses Werk meistens hört.