Christoph Willibald Gluck: Alceste, Pariser Version 1776; Catherine Naglestad (Alceste), Donald Kaasch (Admeto), Bernhard Schneider (Évandre), Johan Rydh (Hohepriester/Thanatos), Motti Kastón (Apollo), Michael Ebbecke (Herakles), Wolfgang Probst (Herold), Staatsopernchor Stuttgart, Staatsorchester Stuttgart, Constantinos Carydis; Inszenierung: Jossi Wieler, Sergio Morabito; Bild 16:9; Surround & Stereo; 2006 -- Iphigénie en Tauride; Juliette Galstian, Rodney Gilfry, Deon van der Walt, Anton Scharinger, Zurich Opera’s Orchestra La Scintilla, William Christie; Stereo & Surround; Bild: 16:9; 2001 -- Orfeo ed Euridice: Jochen Kowalski (Orfeo) Gillian Webster (Euridice), Jeremy Budd (Amore), William Edwards (Amore double); Jean-Pierre Blanchard (Orfeo double); Chor & Orchester des Royal Opera House London, Hartmut Haenchen; Inszenierung: Harry Kupfer; Bild 4:3; Stereo; Live 1991; 3 DVDs Arthaus 107 540 (165'; 166’ 83') – Rezensionen von ehj, Alain Steffen und Remy Franck

Zum 300. Geburtstag von Christoph Willibald Gluck fasst Arthaus Musik drei erfolgreiche Opernproduktion in einer Geburtstagsbox zusammen. Da ist zunächst einmal die Stuttgarter ‘Alceste’ von 2006. Jossi Wieler gehört zu den Star-Regisseuren, durch die sich die Stuttgarter Staatsoper unter der Intendanz von Klaus Zehelein als Aushängeschild in Sachen modernes deutsches Regietheater etabliert hat. Auch im letzten Jahr ihrer Zusammenarbeit ist Wieler zusammen mit Sergio Morabito unter Zehelein eine Produktion gelungen, die von der Kritik bereits zur Opernproduktion des Jahres 2006 gekürt wurde. Glucks große Reformoper wird hier in der erfolgreichen französischen Version verstärkt auf das religiös-kultische Element abgeklopft: als kleines Schock-Moment wird die mythische Götterverehrung schlicht auf eine evangelikal anmutende christliche Glaubensgemeinschaft übertragen. Auf dem Apoll-Altar versinnbildlicht eine Christus-Statue den heidnischen Gott, und das Bühnenbild beschwört mit seinen gedeckten Beige- und Brauntönen und seiner MDF-Vertäfelung mitsamt klinischer Neonbeleuchtung einen kleinstädtischen Multifunktions-Gemeindesaal herauf.  Die zugeknöpften, faltenberockten weiblichen Gemeindeangehörigen stehen an der Seite ihrer im preisgünstig anmutenden C&A-Schick betuchten Gatten.

In diesem Rahmen wird das Seelendrama der sich für ihren Gatten Admeto aufopfernden Alceste als eher mehrdeutige Angelegenheit aufgearbeitet. Weder die Gemeinde noch ihr Gatte scheinen von der Tatsache, dass sie den Göttern ihr Leben im Tausch gegen das des Gatten geboten hat, sonderlich beeindruckt. Stattdessen wird die Rettung des Königs und damit die seines Volkes gefeiert. Alceste tröstet sich in dieser Produktion währenddessen mit wiederholt verstohlener Pillenschluckerei. Surreale Elemente wie die knallroten Haare der Familie Alcestes und Admetos mit ihren gespenstisch-androgynen Kindern oder die dämonenhafte Gestalt des Hohepriesters, der schließlich auch als Thanatos auftritt, binden weitere Knoten in das dichte Verweisgeflecht. Die traditionell als Glorifizierung der bedingungslosen Liebe zwischen Ehepartnern verstandene Oper wird hier um einige beunruhigende, geradezu schauderhafte Momente erweitert.

Während keiner der Ballettmusiken wird getanzt, stattdessen werden in Pantomimen Bestandteile der Handlung fortgesetzt oder geklärt. Während der abschließenden Chaconne, in der die Kleinfamilie wieder auf Erden vereint ist, wirkt Alceste eher verstört als glücklich. Auch gesellt sich zum Schluss der Hohepriester zum Paar und legt bedeutungsvoll seine Hand auf die Schulter eines der Kinder.

Die Stuttgarter Ensemble-Sopranistin Catherine Naglestad hat sich mit ihrer Darstellung dieser psychologisch komplexen Ausdeutung sicher ihren Durchbruch verdient. Zwar enthält ihr Part der Gluckschen Opernästhetik entsprechend keine umwerfenden Virtuosenpartien, dafür ist die Glaubwürdigkeit ihrer Darbietung bemerkenswert.

Bei einer weit weniger präsenten Rolle ist ihr der amerikanische Tenor Donald Kaasch nicht hunderprozentig ebenbürtig. Stimmliche Überraschungen finden sich dagegen in den Nebenrollen: Hohepriester Johan Rydh ruft mit seinem durchdringenden Bariton so manche Gänsehaut hervor, und Chorleiterin Catriona Smith überzeugt in ihren sehr kurzen Einlagen mit einem äußerst anmutigen Timbre. Der Chor meistert teils rhythmisch herausfordernde Passagen souverän, und Constantions Carydis’ Dirigat wird dem Werk voll gerecht. Auch produktionstechnisch lassen sich keine Einwände vorbringen. Dass neben der Oper auf der DVD keine Specials enthalten sind, macht eher deutlich, dass diese bei anderen Produktionen als dankenswerte Beigabe zu verstehen sind. Einzig bleibt bei einer derartigen Inszenierung unklar, inwiefern das hohe Maß schwer lastender Bedeutung wirklich im Werk aufzufinden ist.

‘Iphigénie en Tauride’ gibt es in einer hochinteressanten Inszenierung von Claus Guth aus Zürich. In ihr dominiert die Farbe Schwarz, was auf der Opernbühne sicherlich besser zu Geltung kommt, als auf dem Bildschirm. Trotz exzellenter schauspielerischer Leistungen ermüdet das Auge durch die sich permanent im Düsteren abspielende Handlung relativ schnell. Dass wir trotzdem die Maximalbewertung geben, liegt in erster Linie an der wunderbaren musikalischen Aufführung. William Christie und das La Scintilla-Ensemble bieten einen exquisiten Musikgenuss; hier befindet sich alles im Gleichgewicht und Christie erweist sich nicht nur als kongenialer Operndirigent, der Glucks Musik einerseits sehr spannend, andererseits aber auch sehr gefühlsvoll interpretiert, sondern zudem als sehr sängerfreundlicher und einfühlsamer Begleiter.

Die Sänger danken es ihm allesamt mit hochkarätigen Leistungen, allen voran die phänomenale Juliette Galstian in der Titelrolle, Deon van der Walt als Pylades und Rodney Gilfry als Oreste.

‘Orfeo ed Euridice’ wird in einer Londoner Inszenierung angeboten, die ihrerseits auf einer Produktion der Komischen Oper Berlin aus dem Jahre 1989 beruht. Regie führt Harry Kupfer, der aus Orfeo einen Gitarre spielenden Jugendlichen macht, der seine Euridice in einem Autounfall verloren hat. Das liefert die Basis für eine zeitgenössische Psychostudie, in der Kupfer auch Doubles, also Zweitfiguren einsetzt, die die Handlung ergänzen. Eine reizvolle Idee.

Die dunkle Bühnen lässt sich nur schwer auf den Fernsehbildschirm übertragen, was aber angesichts der sängerischen und orchestralen Leistungen nur ein kleines Handicap ist.

Harmut Haenchen tut alles, um seinen Sängern zur Seite zu stehen. Jochen Kowalski ist ein bemerkenswerter Orfeo, stimmlich wie darstellerisch, und er kann Orfeos Schmerz, das Leiden des Sängers bestens zum Ausdruck bringen. Gillian Webster ist eine ebenso attraktive Euridice, und ihre Stimme harmoniert sehr gut mit jener Jochen Kowalskis.

Arthaus Musik reunites three successful Gluck operas in one box, thus honoring the composer at the occasion of his 300th birthday in July. ‘Alceste’ can be seen and heard in a complex and thoughtful staging by Jossi Wieler from Stuttgart. Claus Guth’s staging of ‘Iphigénie en Tauride’ in Zurich is not less interesting and convinces also musically. In his ‘Orfeo’, Harry Kupfer focuses on Orfeo’s grief und develops a fine psychological study. The singers in this production are outstanding.

 

 

 

 

 

 

 

 

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