Das Musikleben hat die Auswirkungen dessen, was man Wirtschaftskrise nennt und nur die logische Folge eines auf Luftblasen und Wahn funktionierenden Globalitätsdenkens ist, zu spüren bekommen, daran besteht kein Zweifel. Wenn gespart werden muss, werden die hehrsten Bekenntnisse zu kulturellen Werten eingemottet wie das Weihnachtszeug im Januar, und dann ist bis zum nächsten Wohlstand Kultur das Unwichtigste auf der ganzen Welt. Wenn eine bürokratische Struktur in die Krise gerät, schrieb der Vater aller Bürokratiemodelle, der deutsche Soziologe Max Weber, dann reagiert sie nicht etwa, indem sie sich der Krise zuwendet, sondern indem sie ihre bürokratische Struktur verstärkt. In kulturellen Bürokratien nützt das etlichen Leuten, aber jedenfalls nicht der Kernaufgabe.
Doch zurück zu diesem verhängnisvoll globalen Denken, das auch in der Musikwelt erhebliche Schäden angerichtet hat. Die finanzielle Seite des Musikbetriebs zeigt heute immer bedenklichere, immer widerlichere Auswüchse. Dass Klassik Geld einspielen soll, dass die brotlose Kunst nicht existieren soll, ist evident, doch warum werden in Teile der Musikindustrie unaufhörlich Unsummen gepumpt, während andere, viel größere Teile, verarmen? Während in den USA mäßig entlohnte Musiker mehrerer Orchester um das Überleben ihrer Ensembles kämpfen, kassieren die Musiker in andren US-Formationen Löhne, von denen sogar in Europa kein Orchestermusiker zu träumen wagt. Diese Diskrepanz gibt es auch bei Solisten. Ein Pianist wie Lang Lang kassiert nicht nur Unsummen mit der Vermarktung seines Körpers, quasi vom Kopf bis zu den mit Lang-Lang-Turnschuhen gekleideten Füssen, sondern auch phänomenale Honorare. Die Netrebko soll angeblich anderthalb Millionen Euro für eine Werbekampagne des Uhren- und Schmuckherstellers Chopard bekommen haben. Fürstliche Gehälter gibt es für die Chefdirigenten der weltbesten Orchester, tolle Gagen für Solisten. Wer eine der ‘großen’ Stimmen unserer Zeit auftreten lassen will, zahlt locker 150.000 bis 250.000 Euro für den Abend, Sänger und Pianist inklusive. Doch irgendwo im Vertrag wird stehen, dass der Sänger oder die Sängerin (einen solchen Vertrag kann ich jederzeit als Beweis produzieren) 145.000 von 150.000 Euro bekommt, der Pianist ganze 5.000 Euro. Eine Umfrage unter 100 Freelance Opernsolisten ergab, dass das durchschnittliche Einkommen bei 17.500 Dollar im Jahr liegt. Selbst die Solisten, die ständig in den besten Häusern Hautrollen singen, kommen nach Abzug von Hotel- und Reisekosen auf kaum mehr als 100.000 Dollar im Jahr.
Und was geschieht im Bereich Tonaufnahme und Schallplatte? Nun, hier gibt es einen großen Teich, in dem viele sich drängeln, und neben dem Teich einen exponierten Hügel in bester Sonnenlage, mit exklusivem Fünfstern-Service.
Im Teich gibt es gute Schwimmer und schlechte, hoch interessante Musiker und Langweiler. Was sie verbindet: Sie bemühen sich darum, bei kleineren Labels sowohl wie bei Marktführern wie Naxos Alben zu produzieren, deren Masterbänder sie nicht selten auf eigene Kosten erstellen, oder sie gründen ihr eigenes Label, weil sie, einst in guten Verträgen bei den sogenannten Majors, von denen fallen gelassen wurden wie faule Früchte. Der Geiger Gil Shaham ist ein solcher Künstler. Er wurde vor Jahren von der Deutschen Grammophon als einer der besten Geiger der Welt vorgestellt und dann ‘entlassen’, weil mit ihm das große Geld anscheinend doch nicht zu machen war. Mit Canary Classics hat er sein eigenes Label ins Leben gerufen und produziert dafür Platten, die leider nicht genügend wahrgenommen werden. Eine rezente Rezension lesen Sie hier.
Doch wenden wir uns dem sonnigen Hügel zu: Hier gibt es viel weniger Leute, sie haben viel Platz im Pool und auf der Liegewiese. Einige kommen aus dem Teich, wo sie ihre Karriere mit viel Mühe und mit dem Engagement kleiner Verleger aufgebaut haben, die sie dann schändlich verrieten, als die Manager des Hügels ihnen lukrative Verträge anboten. Auch unter ihnen gibt es wirklich gute Musiker, andere sehen nur gut aus. Was sie verbindet: ihre nicht selten populistischen Aufnahmen werden mit unvorstellbar aufwändigen Kampagnen beworben, in denen der Welt vorgegaukelt wird, dass sie das Beste sind, die man je gehört hat. Das dauert zumindest so lange, wie die Umsätze stimmen. Die Unterhaltungskünstler unter ihnen – Netrebko, Lang Lang und Co – brauchen da weniger Angst zu haben. Von den anderen kann man für sie nur hoffen, dass sie ihren Platz im Teich nicht ganz aufgegeben haben. Vielleicht werden sie ihn noch einmal brauchen… Remy Franck