Leonard Bernsteins ‘Mass’ ist ein multikulturelles und Genreübergreifendes Stück, eine Art modernes Oratorium mit der katholischen Liturgie als Basis, aber genau so vielen kritischen Tönen gegenüber eben dieser Kirche und sogar gegenüber Gott und dessen Schöpfung. De facto ist die 1971 entstandene Mass ein Produkt der Protestbewegung gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen Rassismus und gegen Krieg. Sie hat in diesem Sinne nichts an Aussagekraft und leider auch nichts an Aktualität eingebüßt.
Diese Neuaufnahme ist musikalisch prall und klingt ganz toll! In dieser Hinsicht ist sie sogar der Mehrkanalaufnahme von Kent Nagano bei Harmonia Mundi überlegen, weil der Toningenieur die Klangeffekte und räumliche Disponierung im Stereosound völlig beherrscht.
Aber auch der interpretatorische Ansatz ist bei Dennis Russell Davies ein anderer als bei Nagano, der die geistige Dimension über die musikalische Form und ihren Eklektizismus stellte. Die Interpretation von Russell Davies ist viel straffer, spontaner und unmittelbarer als die abgerundetere von Nagano, und bringt so die Extreme der Partitur viel schärfer zu Gehör. Darin ist der Dirigent dem Schöpfer Bernstein näher, ohne allerdings dessen auch sehr tänzerisch wirkende Aufnahme nachzuahmen. Jazz, Rock, Gospel und Klassik treffen in der Wiener Produktion direkter aufeinander, so dass es richtig im Gebälk knirscht.
Das Wiener ORF-Orchester spielt engagiert und rhythmisch sicher, die Chöre und Solostimmen sind von beeindruckendem Niveau.
Der tschechische Schauspieler und Bariton Vojtech Dyk versucht als Zelebrant nicht wie ein klassisch ausgebildeter Sänger aufzutreten, was er als Bandsänger nicht ist, und gefällt sowohl im Singen wie im Rezitieren mit einer engagierten und im Gegensatz zu anderen Interpreten in dieser Rolle unaffektierten Darbietung.
Mit ihrem klaren, präzisen Klang spiegelt diese Aufnahme die ganze expressionistische Erregtheit der Komposition und sie ist unbedingt zu den Referenzeinspielungen der Mass zu zählen.