In dem zeitlosen Bühnenbild von George Souglides schafft Stephen Langridge eine ganz auf die Charaktere fokussierte Inszenierung, in der sich das Liebes- und Eifersuchtsdrama, vom intrigierenden Iago angezettelt, problemlos entwickeln kann. Einige gute Regieeinfälle muss man Langridge auch noch zugute schreiben. Die Kamera unterstützt die Deutung mit vielen Nahaufnahmen, die das schauspielerische Talent der Sänger, sofern vorhanden, gut zum Ausdruck bringen.
Der Zuschauer/hörer kann sich also voll und ganz auf das Operngeschehen und die Musik konzentrieren, und dort wird ihm hohes Niveau geboten.
Ein Gewinn ist der großartige Otello des 2008, also zum Zeitpunkt der Aufnahme, 33-jährigen lettischen Tenors Aleksandrs Antonenko, der die Rolle mit viel jugendlichem Feuer singt. Obwohl das Alter nirgendwo präzisiert wird, ist Otello beileibe kein junger Mann. Vickers und Domingo waren also sicher keine Fehlbesetzungen. Aber der junge Antonenko gibt der Rolle eine angenehme Frische, es ist als habe dieser Otello viel Ballast abgeworfen, den seiner Hautfarbe wie auch den der Politik, wodurch sich alles auf die Liebe, die blinde Eifersucht und die damit verbundene sinnlose Verzweiflung reduziert. Stimmlich ist er eine Idealbesetzung mit einer kraftvollen, brillanten Tenorstimme, die auch bei Extrembelastung noch geschmeidig bleibt. Heldische Geste wie lyrisches Singen sind auf natürliche Weise vereint. Die Tiefe ist kraftvoll und lässt sich mit der Höhe bruchlos verbinden. Das Timbre ist natürlich, ohne Verfärbungen und immer bestens gebündelt, um mühelos ein maximales Output zu erreichen. Auch sein Italienisch ist exzellent.
Nicht ganz so gut gefällt mir der Iago von Carlos Àlvarez. Stimmführung und Phasering sind zwar ausgezeichnet, aber darstellerisch bleibt der Spanier der Rolle einiges an Perfidie und Schwärze schuldig.
Von Höchstleistung kann man wiederum bei Marina Poplavskaya sprechen. Sie ist eine erstrangige Desdemona. So eine perfekt passende Verdistimme hört man nicht jeden Tag. Weit entfernt ist man da vom Stimmtyp der russischen Sopranistin. Sie gibt der Figur, die sie singt, eine dramatische Größe und etwas mehr Sicherheit im Auftreten als andere Sängerinnen das getan haben. Gewiss, Poplavsjkaya hat es leichter, sich gegen Otello zu behaupten, weil die Altersdifferenz nicht so gross ist. Aber diese Charakterstärke zu zeigen, bedarf es auch schauspielerischen Talents, und das hat die Sängerin zweifellos. Sie identifiziert sich hundertprozentig mit der Rolle.
Die Nebenrollen sind außergewöhnlich gut besetzt, wobei ich noch Stephen Costello als Cassio speziell nennen will.
Den luxuriösen orchestralen Rahmen schafft Riccardo Muti mit viel dramatischen Gespür und einem ausgeprägten, sehr feinfühligen Sinn für Farben und Nuancen im Orchester. Eine großartige Leistung! Und das alles macht aus dieser Produktion eine der besten Interpretationen dieser Oper auf Videodisc (wobei ich nicht daran vorbeikomme, als die von mir trotzdem noch bevorzugte Produktion jene mit Vickers, Freni und Karajan zu benennen.)
Da das Booklet und das Backcover diese Information verheimlichen, wollen wir sie zumindest hier geben: Für den dritten Akt wählte Riccardo Muti nicht die Originalfassung, sondern die orchestral etwas leichtere Pariser Fassung.
Avec l’extraordinaire et jeune Otello d’Aleksandrs Antonenko, la sublime Desdemona de Marina Poplavskaya et les forces orchestrales et chorales viennoises magistralement dirigées par Riccardo Muti, nous sommes en présence d’une réalisation indispensable de l’avant-dernier opéra de Verdi.
With Aleksandrs Antonenko’s extraordinary and young Otello, Marina Poplavskaya’s sublime Desdemona and Riccardo Muti’s vigourous as well as sensible conducting, this Otello is one of the major performances on disc.