Deutsche Grammophon veröffentlicht sämtliche Studioeinspielungen Fritz Wunderlichs für das gelbe Label in einer Edition, die die erstaunliche Bandbreite seines Schaffens von Oper und Operette über geistliche Werke bis hin zu Liedern und Schlagern darstellt.
Da sind zunächst einmal Karl Richters und Karl Münchingers Oratorienaufnahmen von Johann Sebastian Bach, ohne das, was wir heute ‘historische Aufführungspraxis’ nennen, und in deren hoch-expressiven Charakter Fritz Wunderlich sich perfekt einfügt, um mit den Dirigenten und seinen Sängerkollegen die Tiefe und die spirituelle Expressivität der Werke auszudrücken.
Wunderlich singt auch (unter Herbert von Karajan) den Tenorpart in der wohl spirituellsten Aufzeichnung (1966) der ‘Missa Solemnis’ von Ludwig van Beethoven, in der eine profunde Harmonie zwischen Musik und Liturgie stattfindet, die Wunderlich mit der einmaligen Strahlkraft seiner Stimme verstärkt.
Auch in Haydns ‘Schöpfung unter Karajan hatte Wunderlich den Tenorpart übernommen, doch leider kam er in der Zeit der Aufnahme tragisch ums Leben, so dass Karajan schließlich den Uriel für die restlichen Takes mit Werner Krenn besetzte. Der tragische Tod Wunderlichs und die längere Zeitspanne, die zwischen den Aufnahmen lag, hat sich letztlich nicht besonders positiv ausgewirkt. Karajan wirkt in den Krenn-Teilen deutlich spannungsärmer als in jenen mit Wunderlich, was auch ein Hinweis auf die gegenseitig befruchtende Ausstrahlung beider Künstler ist.
In Karl Böhms legendärer Aufnahme des ‘Wozzeck’ von Alban Berg (nach der amerikanischen Mitropoulos-Einspielung die zweite Aufnahme der Oper überhaupt) singt Wunderlich den Andres, Fischer-Dieskau ist Wozzeck und Evelyn Lear die Marie.
In der nicht weniger legendären und richtungsweisenden Wenziger-Aufnahme von Monteverdis ‘Orfeo’ ist Wunderlich ein strahlender Apoll.
In der sicherlich nicht besten (aber doch sehr gefälligen) der verfügbaren Einspielungen von Mozarts ‘Entführung aus dem Serail’ ist Fritz Wunderlich das Zugpferd und macht die ganze Produktion wertvoll. Weitaus ausgeglichener ist die ‘Zauberflöte’ unter Karl Böhm, sehr dramatisch dirigiert und mit einem hinreißenden Sängeraufgebot (Crass, Peters, Lear, Fischer-Dieskau, Otto, Hotter) in dem Fritz Wunderlich leuchtet wie ein Juwel.
Unter dem heute kaum noch bekannten Hans Gierster nahm Wunderlich den Marquis von Châteauneuf in Lortzings ‘Zar und Zimmermann’ auf. Bestes Ensembletheater in glänzender Laune.
Ein großartiges Sängeraufgebot gab es für Tchaikovskys ‘Eugen Onegin’ (leider in Deutsch) mit Fischer-Dieskau, Evelyn Lear, Brigitte Fassbaender, Martii Talvela und Fritz Wunderlich. In der Rolle des Lenski findet er die treffende Charakterisierung, ohne Übertreibung, ohne Pathos und kredenzt das Ganze mit seinem einmaligen Timbre.
Der in Deutsch gesungene Querschnitt von Verdis ‘Traviata’ ist durch die Qualität der Sanger beachtlich, und man kann nur bedauern, dass für Alfredos große Arie auf dieser Platte kein Platz war.
In anderen Operetten- und Opern-Recitals kann sich der Sänger dafür umso besser positionieren, als brillanter, völlig frei singender, im Gefühls-Elan immer noch natürlich-eloquent wirkender Tenor. Die Stimme ist herrlich jung und unverbraucht, schön geschmeidig und eben von jener fantastischen Reinheit, die das Gütesiegel dieses Künstlers war.
In Schuberts ‘Schöner Müllerin’ ist es auch bis heute nur Fritz Wunderlich geglückt, soviel Farbe, soviel Wärme und Geschmeidigkeit in die Stimme hineinzulegen, dass dadurch der Gehalt des Textes eine andere Dimension erreicht, und immer noch ist man ergriffen und fasziniert vom Glanz und von der Mühelosigkeit dieser einzigartigen Stimme, der Textverständlichkeit des Sängers und seiner stets natürlichen Gestaltungskunst. Das gilt in gleichem Maße für die ‘Dichterliebe’, bei der Hubert Giesen am Klavier sitzt, und wo der latent-traurige Wohlklang von Fritz Wunderlich eine selten beglückende Wirkung zeigt.
Und so ist denn diese Box des 1966 mit nur 36 Jahren verstorbenen Fritz Wunderlich ein einmaliges Monument für den Jahrhunderttenor.