Nicht etwa in Warschau, sondern in Berlin wurde 1903 das Violinkonzert in A-Dur op. 8 von Mieczyslaw Karlowicz uraufgeführt. Der Komponist, dem das Provinzielle der polnischen Stadt zuwider war, reiste in jungen Jahren quer durch Europa. Das dreisätzige Werk begründete zwar nicht Karlowiczs Ruhm – das sollten erst seine Tondichtungen schaffen – aber die Musik verbindet Dramatik mit Leidenschaft, und Bartolmiej Niziols Geige ist denn auch von betörendem Lyrismus, sie singt selbst in den rhythmischeren Teilen des Konzerts. Der mit voll-rundem Klang spielende Solist und der Dirigent Lukasz Borowicz bringen aber neben der dramatischen Kraft der Musik auch ihren latent melancholischen Charakter zum Ausdruck.
Zu Karlowiczs Zeit existierte Polen nicht als Staat. Aufgeteilt zwischen Russland und Preußen wurde das Land immer mehr zu einer kulturellen Wüste. Dem stellten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Strömungen gegenüber, so etwa die Komponistenvereinigung ‘Junges Polen’, der Fitelberg, Szymanowski, und Szeluto angehörten. Auch Karlowicz unterstützte die Bewegung und
im Jahre 1906 ließ er sich in Zakopane im polnischen Hochland nieder. Die Landschaft war für die Anhänger von ‘Junges Polen’ – Literaten und Musiker – ein Zufluchtsort, wo sie in typischer Fin-de-Siècle-Stimmung ihre verletzten Nationalgefühle künstlerisch auslebten. Karlowicz liebte die Einsamkeit und die Schönheit der Tatra-Berge, wo er zum Fotografieren lange Wanderungen unternahm und auch Schi fuhr. In den Bergen fand er übrigens mit 32 Jahren den Tod: Er wurde er von einer Lawine verschüttet.
Karlowiczs Tondichtungen waren von Strauss und Wagner beeinflusst, vor allem von dessen Themen Liebe und Tod, aber auch das Tatra-Gebirge inspirierte ihn. Der Grundcharakter jedoch war von Trauer, Melancholie und Lyrismus geprägt, den Merkmalen der Bewegung ‘Junges Polen’, wie sie in der verhalten-introvertierten Tondichtung ‘Traurige Geschichte’ op. 13 hörbar werden. Karlowiczs letztes Orchesterwerk schildert in einem dramatischen Verlauf von Licht und Schatten die Geschichte eines Suizids. Und laut dem Textheft der CD erklingt hier zum ersten Mal in einer Tonaufnahme des Werks der Revolverschuss, den sich der Komponist ausdrücklich gewünscht hat, der aber aus Sicherheitsgründen bei den Aufführungen des Stücks immer durch einen Schlagzeugeffekt ersetzt wird.
Lukasz Borowicz dirigiert sehr gefühlvoll, hütet sich aber vor jeglicher Sentimentalisierung, und so bleibt letztlich die Noblesse der Komposition gewahrt. Auch in der ‘Litauischen Rhapsodie’ ist die Justesse der Gefühlsdosierung bemerkenswert. « Ich vollendete eine Komposition, der wahrscheinlich den Namen ‘Litauische Rhapsodie’ gebe. Ich war bemüht, Leid, Wehmut und ewigliche Unterjochung des Volkes auszudrücken, des Volkes, dessen Lieder in meiner Kindheit erschollen“, schrieb Karlowicz über seine sinfonische Dichtung.
Lukasz Borowicz hat das als eine sehr ernsthafte Aufgabe wahrgenommen. Er formt Klänge transparent, mit vielen Farbnuancen und steuert strukturbewusst die Höhepunkte sicher an, immer im richtigen Moment für Spannung und Entspannung sorgend.