Aus der Blütezeit des Mittelalters stammt das Totentanz-Gemälde des Lübecker Malers Bernt Notke in der St.Nikolai-Kirche der lettischen Hauptstadt Talinn. Es zeigt Menschen, die mit Skeletten tanzen. Das schaurige Bild stand Pate für Roxanna Panufniks ‘Tallinn Mass’, die eher ein Bild des Lebens als des Todes sein will und daher den Titel ‘Tanz des Lebens’ trägt. Die Messe ist ein Auftragswerk des Philharmonischen Orchesters Tallinn aus dem Jahre 2011, als die lettische Metropole Kulturhauptstadt Europas war.
Struktur und Charakter werden maßgeblich geprägt von dem der Komposition zugrunde liegenden Text, der lateinischen Liturgie und neunzehn Gedichten der estnischen Autoren Kareva Doris und Jürgen Rooste. So wie das Gemälde von Bernd Notke Figuren des öffentlichen Lebens mit den tanzenden Skeletten darstellt, so konfrontiert die Dichtung der Messe den Hörer mit ganz unterschiedlichen Charakteren, einem Spion, einem Bettler, einem Bürgermeister, einer Prostituierten, einem Werbefachmann sowie einem Banker.
Panufnik vertraute der Ausdrucksfähigkeit des Wortes und verwendet in weiten Teilen die Technik des Melodrams, wobei Glocken und Chor als Hintergrund zu gesprochenen Texten für viel Licht und Kontrast zu den manchmal bedrückend pessimistischen Texten sorgen. Diese werden freilich auch immer wieder von der Figur des Lebens motiviert, Hoffnung zu zeigen, und so zum Tanz des Lebens aufgefordert.
Das alles hat Roxanna Panufnik zu einem beeindruckenden Ganzen verschmolzen. Text und Musik sind eine eindringliche Reflexion über die Welt von heute.
Die Warner-Produktion benutzt nicht die estnischen Originaltexte, sondern eine englische Übersetzung, was aufgrund der vielen gesprochenen Texte sinnvoll erscheint.
Die Aufführung ist von hoher Qualität, mit exzellenten Chören und einem guten Orchester. Jaak Johansen ist mit seiner wandlungsfähigen Stimme und seinem Ausdruckspotenzial ein herausragender Erzähler. Auch Patricia Rozario beeindruckt, was die Intensität der Darstellung anbelangt. Allerdings wäre ihr Gesang mit etwas weniger Vibrato sicher noch angenehmer.
Roxanna Panufniks ‘Tallinn Mass – Dance of Life’ is a colorful work with gripping melodramatic parts and magnificent choral pieces. Basically a rather sad assessment of today’s life, it has the dramatic power of ‘Life’ and luminous music to get, at the end, not only an optimistic but a positively emotional character.