Die Handlung um den armen Soldaten Wozzeck, der ein Grübler, Zauderer und Außenseiter ist, meistert sein Leben nicht mehr. Der Hauptmann macht ihn nieder, der Arzt benutzt ihn für perverse Experimente. Und als ihm dann auch noch das Gift der Eifersucht eingeträufelt wird, zeigt er endlich Schneid und setzt das Messer an den Hals seiner geliebten Marie. Dieses Opfer in der Jugendsprache ertrinkt dann selber, als er die Tatwaffe verstecken will. Berg hatte die Fragmente der Vorlage von Georg Büchner gestrafft und im Sinne einer stringenten Handlung geordnet.
Kentridge hat den gedemütigten Wozzeck mit animierten Kohle- und Tuschzeichnungen umgeben, die ebenfalls Handlungsträger des Geschehens werden. Die Traumata von Wozzeck werden wie in einem Bild-Albtraum gespiegelt. Durch den Krieg verwüstete Szenen und geschundene Menschen bilden das visuelle Umfeld für Bergs Bekenntniswerk, in das persönliche Leiderfahrungen des Komponisten eingeflossen sind. So kreisen die ersten Worte Wozzecks die Töne A und B, die Initialen des Komponisten.
Das Bühnenbild ist ein magischer Ort, zugleich ein praktikabel bespielbarer Raum und dient als Projektionsfläche für die Bilder und Filme, mit denen der Regisseur die Szene mit seinen eigenen optischen suggestiven Rhythmen belegt. Zwischen angesammeltem Gerümpel führt einen Steg aus Brettern und halben Treppen ins Nirgendwo. Dazwischen sind unterschiedlich große Spielflächen und beispielsweise ein geheimnisvoller Schrank, in dem der Doktor mit Wozzeck seine medizinischen Experimente durchführt und aus dem dann auch eine Kapelle entsteigt, angeordnet. In diesem Alptraum-Universum (auch diese Mitgestalter tragen zum Erfolg bei: Bühne: Sabine Theunissen, Kostüme: Greta Goiris, Video Design: Chatherine Meyburgh, Licht: Urs Schönebaum) schafft die raffinierte Beleuchtung Räume für die Sänger. Man mag dem vorwerfen, das Kentridge damit ein sehr eindeutiges Bedeutungskorsett schafft, das die Luft zum Atmen und Assoziieren in Leitplanken fasst.
Eine tolle Besetzung, vielleicht bis auf einige Momente undeutlicher Artikulation, ist Matthias Goerne für den Wozzeck. Zum einen hat er die Fähigkeit, die Figur mit Gestus und der Mimik lebendig zu machen, zum anderen die expressiven Farben der Stimme, die brodeln, grollen und liebkosen kann. Wie ein Vulkan kommt Wozzeck daher; der Ausbruch deutet sich gleich zu Beginn an, wenn er schreit. Beklemmend ist auch die Szene am Teich, als er sich Marie zuwendet, zart und tödlich-kalt. Beklemmend gelingt auch der Monolog vor dem Selbstmord. Die durch Berg geschaffene neuartige Behandlung der Stimme, die Rezitativ, Parlando, Kantilene und Koloratur fordert, findet in Goerne einen mustergültigen Gestalter, der Klanggestalten selbst im Sprechen nutzt.
An seiner Seite die litauische Sopranistin Asmik Grigorian als Marie. Ihr gelingt das Porträt einer bedrückten, sozial verelendeten Frau, die den armen Kerl liebt und sich doch dem Tambourmajor hingibt. Auch sie bringt die Voraussetzungen mit, die des sinnlichen Weibes, das für das Verhängnis sorgt. Zugleich gelingt ihr die Darstellung unterdrückter Angst. Das Wiegenlied im ersten Akt hat den von Berg gewünschten melodischen Duktus, aber es ist ein beschädigtes Glück. Aber ein rundum volle Glück für den Opernbesucher
Auch die übrige Besetzung überzeugt. Stilisiert zeichnet John Daszak den Tambourmajor als lächerlichen Lover mit Machogehabe. Der sadistische Doktor (Jens Larsen), ein kaiserlich karikierter pathetischer Hauptmann (Gerhard Siegel), Andres (Mauro Peter), in der Zeichnung der Figur an Wozzeck angelehnt sowie Frances Pappas (Margret) beweisen, dass es keine kleinen Rollen gibt. Sie alle haben sowohl darstellerisch wie auch vokal Festspielniveau.
Die Wiener Philharmoniker mit Vladimir Jurowski am Pult zeigen ihre hochprofessionelle Vielseitigkeit als Spitzenorchesters. Präzise und leuchtend verstärkt die Musik die Emotionen und wird auch zum emotionalen Wegweiser. Dem muss man nicht überall hin folgen, aber man ist immer ganz gespannt dabei. Und plötzlich ist Marie tot und die Kinderstimme erstirbt beim verlorenen hopp hopp …
Die Inszenierung besticht durch ihren Einfallsreichtum, ein perfektes Ensemble und großartige musikalische Leistungen.