« Suchet der Stadt Bestes“, heißt es im Buch des Propheten Jeremia. Und in Leipzig gibt es in musikalischer Hinsicht ja nun unglaublich viel zu finden und zu entdecken. Zum Beispiel die beiden hier beheimateten A-cappella-Ensembles ‘amarcord’ und ‘Calmus’. Beide glänzten in der Vergangenheit im Alleingang, nun haben sie eine erste gemeinsame Produktion vorgelegt.
(Rezension von Jan-Geert Wolff) – Allein schon der gregorianische Choral zu Beginn ist in seiner Schlichtheit ein Hochgenuss – und ein Versprechen aus volltönender, hell strahlender Intonation. Flankiert von verschiedenen Einschüben (Josquin des Préz, Johann Walter, Cipriano de Rore, Thomas Stolzer und Nicolas Gombert) erklingt im Folgenden Musik des franko-flämischen Meisters Antoine Brumels, nämlich das zwölfstimmige ‘Et ecce terrae motus’ mit Missa, Gloria, Credo, Sanctus sowie Agnus Die (wofür die beiden Ensembles von den Sopranistinnen Anna Kellnhofer und Isabel Schicketanz verstärkt werden). Und was ist das für ein erhabener Wohlklang, ein Aufblühen, ein labyrinthisches Schreiten, ein dynamisches Mäandern, das einen recht schnell in einen wohlig rauschhaften Zustand zu versetzen mag! In einem sehr persönlich gehaltenen Vorwort sprechen ‘Calmus’ und ‘amarcord’ denn auch von einem sich entfaltenden Zauber – und besser hätten sie ihre musikalische Vermählung nicht beschreiben können.
Alles ist perfekt und durchhörbar aufgenommen, wodurch man in ein Klangzentrum gestellt wird, in dem einen die Stimmen von überall her zu umfließen scheinen. Produziert wurde die ‘Leipziger Disputation’ in der Thomaskirche vor Ort und nimmt sozusagen als rekonstruiertes Tondokument Bezug auf eine spannende Auseinandersetzung während der Reformation, über die das Booklet ausführlich Auskunft gibt: Martin Luther traf hier auf seinen mächtigen Widersacher Johannes Eck, wobei es im Laufe eines Streitgesprächs zum endgültigen Bruch mit dem Papst kam. Und just in diesem Umfeld erklang eine zwölfstimmige Messe – wahrscheinlich jenes ‘Et ecce terrae motus’ Brumels. Es gibt bereits Einspielungen dieser Musik – diese hier setzt allerdings Maßstäbe.
Für die ergänzenden deutschsprachigen und lateinischen Werke trennen sich die Ensembles partiell und zeigen somit ihre ganz eigene Kunst – jedes für sich in gewohnter Perfektion und Klangschönheit. Weitere Gregorianik bindet die Teile zu einem überzeugenden Ganzen, das sich zum baldigen Wiederhören empfiehlt: beispielhaft für beseeltes vokales Können, das durch sein packendes Nachspüren einer faszinierenden Klangarchitektur Geist und Herz gleichermaßen anspricht und für sich einnimmt.
(Rezension von Guy Engels) – Die Reformation hat im 16. Jahrhundert viele Wunden hinterlassen: rein menschliche durch kriegerische Auseinandersetzungen, aber ebenso machtpolitische und theologische Gräben. Ein heftiger Grabenkampf wütete in Leipzig, wo sich 1519 in der damals noch katholischen Messestadt, beide Lager in theologischem Streit unversöhnlich gegenübersassen. Aussöhnung gab es nur im liturgischen Rahmenprogramm, dessen musikalische Seite ‘amarcord’ und das ‘Calmus Ensemble’ für diese Einspielung aufgegriffen haben.
Bei den beiden Leipziger Ensembles – alles ehemalige Thomaner – gibt es keinen Disput. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn sich zwei derart hervorragende Ensembles zusammentun, sind die Erwartungen wohl sehr hoch, werden allerdings auch nicht enttäuscht.
‘amarcord’ und das ‘Calmus Ensemble’ interpretieren die Motetten und das Messordinarium in feinster Abstimmung. Ihr Gesang ist ein wahres Klangerlebnis, insbesondere die 12stimmige messe von Antoine Brumel, deren fantastische polyphone Struktur, wie ein offenes Buch vor dem Zuhörer liegt. Jedes Detail besticht durch klangliche und expressive Präzision, ohne dass die Komposition in ihrer jeweiligen Einzelteile zerfällt.
Das Ambiente der Thomas-Kirche, in der die Aufnahme gemacht wurde, tut seinen Teil zur innigen, zeit- und raumlosen Stimmung, die von diesen Interpretationen ausgehen.