Ein sehr abwechslungsreiches Programm hat sich der türkische Pianist Can Cakmur (ausgesprochen: Djahn Tchakmur) für seine erste Schallplatte ausgesucht. Er startet mit einer sehr inspirierten, fantasievoll und spontan artikulierten ‘Adelaide’ von Beethoven/Liszt, ein Werk, das er konsequent zu steigern versteht, um den zweiten Teil streckenweise ekstatisch werden zu lassen.
Can Cakmur ist ungefähr so alt wie Schubert, als dieser 1818 die ‘Grande Sonate pour le Pianoforte’ D. 568 zu komponieren begann, und er unterstreicht denn auch völlig richtig das Jugendliche dieser Komposition, das Suchende auch. Sein erster Satz wirkt frisch und voller Aufbruchsgedanken, im Andante molto betont er die harschen Kontraste, in den beiden letzten Sätzen setzt er den Schwerpunkt auf die Gesanglichkeit, wodurch die Musik leicht und lichtvoll dahinfließen kann.
Nach Beethoven/Liszt und Schubert kommt Haydn, und Cakmur weiß auch diesem Komponisten einen klaren Touch zu geben, wodurch sich das ‘Piccolo Divertimento’ fein nuanciert bewegt, zwischen Melancholie, punktierten Rhythmen und einiger Verspieltheit, die jedoch von der revoltierten Intensität der Coda ins Abseits gedrängt wird. Was war da geschehen, dass Haydn sich so gehen ließ? War es, wie einige Musikwissenschaftlicher behaupten, der Tod seiner Freundin Maria Anna von Genzinger?
Der Sprung von Haydn zu Fazil Says ‘Black Earth’ könnte größer nicht sein. Doch wer hier eine angepasste Version des wohl bekanntesten Werks von Say erwartet hatte, hat Cakmur falsch eingeschätzt. Der junge Pianist hat zu viel Charakter, zu viele Ideen, um nicht mit eigenen Mitteln diesem Werk einen neuen Anstrich zu verpassen. Die Technik Says, Saiten mit einer Hand anzudrücken und gleichzeitig die entsprechenden Saiten mit den Tasten anzuschlagen, hat Cakmur weiterentwickelt und klanglich auf eine interessante Weise differenziert. Das Resultat ist phänomenal! Im rhythmischen Mittelteil überbietet Cakmur den Komponisten mit einem jazzigen Raffinement, das Say so nicht zustande gebracht hat.
Seinen Sinn für Klangdifferenzierung zeigt der Pianist dann in direkt stupender Weise auch in ‘Out of Doors’ (Im Freien), das Bartok als eine verschlüsselte Hommage an die Natur ansah. Can Cakmur setzt alles daran, um aus dieser Musik Naturstimmungen und Naturlaute heraus zu kitzeln. Diese Klangsuche ist extrem spannend und suggestiv. Sie ist aber auch wegen ihrer Energieimpulse in der puren Klanglichkeit faszinierend. Und wenn ‘Die Jagd’ nach rund zwei Minuten im vollen Elan eines frenetisch-hektischen Laufs abrupt endet, glaubt der Hörer, ins Nichts zu fallen.
Das kurze Stück ‘Sacrifice’ des japanischen Komponisten Fuyuhiko Sasaki etabliert Bezüge zum Opfer Christi am Kreuz, zum Atomunfall von Fukushima und zu Andrei Tarkovskys letztem Film. Can Cakmur lotet es stimmungs- und effektvoll aus und beschließt damit ein an Höhepunkten reiches Programm, das die Individualität und den gestalterischen Spürsinn dieses jungen Pianisten ebenso deutlich werden lässt wie seine Fantasie, wenn es um Farben, Farbwerte und Energetisierung von Farben geht. Und wenn Energetisierung bedeutet, dass eine Trägersubstanz, zum Beispiel der Körper des Zuhörers, mit einer energetischen Schwingung aufgeladen wird, dann es ist genau das, was auf dieser Schallplatte 85 Minuten lang passiert.