Paavo Järvi braucht in Sachen Brahms nichts mehr zu beweisen. Er ist ein anerkannter Interpret seiner Werke. Das bestätigt sich in den Einspielungen der 3. und der 4. Symphonie.
Zunächst aber begeistert das Klangbild. Es ist im Gegensatz zu den meisten Aufnahmen, die wir heute zu hören bekommen, breit und tief und nicht mittig und tief. Ein herrliches Raumgefühl!
Die Dritte Symphonie komponierte Johannes Brahms in Wiesbaden. « Ich wohne hier reizend », schrieb Johannes Brahms im Juni 1883 aus Wiesbaden an Theodor Billroth: « Ursprünglich als Atelier gebaut, ist es nachträglich zum hübschesten Landhaus geworden, und so ein Atelier gibt ein herrliches, hohes, kühles, luftiges Zimmer! » Während die Nachmittage und Abende mit langen Wanderungen im Umland und allerlei geselligen Aktivitäten gefüllt waren, widmete sich der Komponist morgens der schöpferischen Arbeit. Diese Atmosphäre findet sich in der Symphonie, der lyrischsten, die Brahms geschrieben hat. Clara Schumann hat das so formuliert: « Welch ein Werk, welche Poesie, wie ist man von Anfang bis zu Ende umfangen von dem geheimnisvollen Zauber des Waldlebens! Ich könnte nicht sagen, welcher Satz mir der liebste. Im ersten entzückt mich schon gleich der Glanz des erwachten Tages; wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume glitzern, alles lebendig wird, alles Heiterkeit atmet, das ist wonnig! Im zweiten die reine Idylle, belausche ich die Betenden um die kleine Waldkapelle, das Rinnen der Bächlein, Spielen der Käfer und Mücken – das ist ein Schwärmen und Flüstern um einen herum, dass man sich ganz wie eingesponnen fühlt in all die Wonnen der Natur. »
Paavo Järvi verpasst dem Werk eine Bewegungskur. Nicht, dass seine Tempi besonders schnell wären, aber es wird eben alles lebendig, wie Clara Schumann sagt, die Musik pulsiert und schwebt mit seltenem Schwung und Temperament. Eingestreut sind einige stark betonte reflektive Momente.
Wunderschön sensibel erklingt das Andante, und dann windet sich das Poco allegretto wirklich ‘poco’ und schlangenförmig ins zuhörende Ohr, mit einigen sehr intensiven lyrischen Betonungen. Das klingt dann unerhört neu und mit mehr als nur einem Fragezeichen.
Die Fragezeichen bleiben am Anfang des vierten Satzes noch stehen, doch dann haut der Komponist mit der Faust auf den Tisch – man hört es hier sehr deutlich – verscheucht die Fragen und findet zurück zum Elan des ersten Satzes. Auch hier lassen einzelnen Schichtungen und Formulierungen aufhorchen, aber die Kraft bleibt durchwegs bestehen. Nicht so glatt fließt der Satz wie einst bei Karajan, energischer in der Bewegung, vielfältiger in der Klanglichkeit.
Klanglich sehr schön und reich aufgearbeitet wird der erste Satz der Vierten Symphonie, der aber auch manchmal so richtig in den Bauch geht. Ein wunderbar melancholisches Andante führt zum fulminant gespielten Allegro giocoso.
Der vierte Satz ist in einem besonderen Maße erlebnisreich. Paavo Järvi legt mancherorts viel Schwermut hinein und lässt Brahms sehr schwer und bewegt atmen, auch wenn die Musik zwischendurch immer wieder an Elan gewinnt. Kein Zweifel, hier wird ein Kampf der Gefühle ausgefochten, in dem die positiven Stimmungen zwar Überhand bekommen, die Gefühlsschwere jedoch nicht zu überhören ist. Paavo Järvi gibt so dem Komponisten Recht, der während des Komponierens an den Dirigenten Hans von Bülow schrieb: « Die Kirschen hier werden nicht süß. »