(Alain Steffen) – Es ist sicherlich keine schlechte Idee, eine CD zu machen, bei der Schüler neben ihrem Lehrer auftreten können. Und wenn es sich dann dabei noch um entdeckungswürdige Stücke wie die 24 Capricen op. 25 für Violine und Klavier von dem ebenfalls erst in vollem Umfang zu entdeckenden Komponisten Henri Marteau handelt, ist das Projekt an sich doppelt interessant.
Leider sollte das nicht reüssieren. Das 100 Minuten dauernde Programm präsentiert in den meisten Fällen bestenfalls akademisch und brav spielende Schüler. Selbst die drei Capricen, die von Ingolf Turban gespielt werden, spiegeln das Können dieses fantastischen Musikers nicht wider. Doch etwas Gutes hat diese Doppel-CD bei mir bewirkt: ich bin auf den Komponisten und Geiger Henri Marteau aufmerksam geworden.
It’s certainly not a bad idea to make a CD where students can perform alongside their teacher. And when the pieces are worth discovering, such as the 24 Caprices op. 25 for violin and piano by the composer Henri Marteau, who is also yet to be fully discovered, the project could have been doubly interesting in itself.
Unfortunately, it was not to succeed. For the most part, the 100-minute program presents students playing academically and carefully at best. Even the three caprices played by Ingolf Turban do not reflect the musicality of this fantastic musician. The only positive aspect is that at least I became aware of the composer and violinist Henri Marteau.
(Guy Engels) – Henri Marteau hatte es im Leben nicht einfach. Er war einer der bedeutendsten Geiger am Übergang ins 20. Jahrhundert und legitimer Nachfolger des grossen Joseph Joachim in Berlin. Dennoch hat der Musiker aus der Champagne viel unter Intrigen und Ressentiments während und nach dem Ersten Weltkrieg gelitten.
Dieser Umstand hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass Marteaus Musik in Vergessenheit geriet. Der Weltbürger Marteau, wie Ingolf Turban im Booklet schreibt, war weder in seinem Geburtsland Frankreich noch in seiner Wahlheimat Deutschland wirklich gelitten.
Als bedeutender Pädagoge hat Marteau selbstverständlich auch eigenes Unterrichtsmaterial komponiert – so die 24 Capricen für Violine und Klavier, die sich formal an bekannten Modellen orientieren.
Der Komponist dekliniert in diesen 24 Kurzwerken sämtliche Spielarten und Techniken der Violine – vom Tremolo über die reine Geläufigkeit, das Flageolett bis hin zum Pizzicato. Diese 24 Capricen sind aber weit mehr als reine Fingerübungen – und nicht die einfachsten auch für exzellente Studenten. Es sind Konzertstücke, die über das Digitale hinaus auch ein gehöriges Maß an Musikalität fordern.
Dieser Spagat gelingt Ingolf Turban (Gewinner eines Spezialpreises der International Classical Music Awards 2021) und seinen Studenten auf beeindruckende Art und Weise. Wir hören 24 Miniaturen, 24 Charakterstücke, von denen jedes sein besonderes Flair, seine besondere Stimmung hat: Harlekin, Melancholie, am Spinnrad … Jedes Caprice trägt einen Titel, und so entfaltet sich ein wunderbar farbenfrohes, dynamisches Mosaik von 24 musikalischen Briefmarken mit herrlichen Motiven, die niemand in seiner Sammlung missen möchte.