SWR Music hat für diese Bruckner-Edition nicht in allen Fällen auf die bereits veröffentlichten Aufnahmen zurückgegriffen, sondern aus den Archiven des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg sowie des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken (der heutigen Deutschen Radio Philharmonie) Live- und Studioaufnahmen vereint, die zwischen 1968 und 2013 entstanden. Vier dieser Aufnahmen werden in dieser Box zum ersten Mal veröffentlicht.
Zweifellos gehört Michael Gielen zu den interessantesten und auch anregendsten Bruckner-Dirigenten der Gegenwart, der sich gerne zum Fürsprecher der Originalfassungen der Symphonien gemacht hat.
Und obwohl fast fünfzig Jahre zwischen der Saarbrücker Einspielung der Zweiten Symphonie (1968) und der Neunten (2013) liegen, bleiben die Hauptcharakteristiken unverändert.
In Bruckners Symphonien sieht Gielen nach eigenen Worten, « absolute Musik » und doch vernachlässigt er ihr seelisches Programm ebenso wenig wie die Darstellung von « Bruckners psychischer Situation, seiner Obsessionen, seiner Zwangsneurosen – und des Kampfes dagegen: seiner Gläubigkeit, seiner (gebrochenen) Naivität ». Das gilt nicht nur für die gewaltige Achte, zu der der Dirigent diese Aussage machte.
Es gibt in allen Symphonien eine ähnliche Rigorosität, eine Klarheit und Durchsichtigkeit der Strukturen, wie selten zuvor. Gielens radikale Klangvorstellungen, seine Bestrebungen, die Musik zu ‘entschlacken’ erreicht er durch ungewohnte Phrasierungen und eine Aufhellung des Klangmaterials.
Selten zuvor hat jemand das Geflecht der Motive so klar herausgestellt, und um nur ja keine falsche Feierlichkeit, kein hohles Pathos aufkommen zu lassen, hat der Dirigent relativ rasche Tempi gewählt (außer in der Neunten, die 2013 auch etwas mehr Fett angesetzt hat). Die Transparenz in den ersten acht Symphonien ist gleichzeitig der Weg zu Klangschönheit und Klangreichtum. Durch intensivierte Klangfarben wird aber auch die Komplexität einsichtig, und unter der Dramatik des Aufbaus offenbart sich eine in sich gekehrte Gedankenwelt, die immer wieder in sich selbst zurück versinkt und dann auch für Emotionen Platz lässt. Nur wird Bruckner dabei nicht zelebriert, sondern es wird deutlich gemacht, wie gewaltig das gedankliche und musikalische Gefüge ist, wie eindrucksvoll die Architektur seiner vieldimensionierten Gedankenwelt ist.
Gielens Bruckner wird mithin durch die ihm verordnete Schlankheitskur nicht bedeutungsarm, wie das bei anderen Dirigenten der Fall war, die die Musik weniger erfolgreich entschlackt haben.
Und mit diesem Konzept fügen sich die in einer großen Zeitspanne entstandenen Aufnahmen zu einem Ganzen und zu einem hoch interessanten und wichtigen Bruckner-Zyklus.