Ein eher unausgeglichenes Set mit Schubert-Interpretationen von Nikolaus Harnoncourt legen die Berliner Philharmoniker vor. Es gibt viel Österreichisches und vor allem Ländliches in den Symphonien, und die meisten Trios sind einfach hinreißend. Zu oft aber bleibt der Dirigent mit lahmen Tempi recht schwerfällig, weil er die Rhetorik in Akzenten und Großklang sucht und Schubert mit dem großen Apparat der Berliner Philharmoniker regelrecht erdrückt.
Vor allem in den ersten Symphonien wird nicht unbedingt auf Leichtigkeit gemacht, was wohl zeigen soll, welch ernsthafter Symphoniker Schubert bereits in jungen Jahren war. Harnoncourt findet auch immer wieder düstere Gedanken, die er wirkungsvoll der unbeschwerten Heiterkeit gegenüberstellt, so die zwei Seelen in Schuberts Brust zeigend. Aber seine subtile Bläserbehandlung hätte deutlich deutlicher werden können.
Der Dirigent ist freilich auch für Überraschungen gut, sei es bei einigen Akzenten oder einer größeren, geradezu experimentellen rhythmischen Klangverschiebung, wie er sie im Allegro-Teil des 1. Satzes der 6. Symphonie praktiziert. Noch ungewöhnlicher ist das langsam schwingende, folkloristisch angehauchte Trio im Scherzo. Più lento, schreibt Schubert vor, molto lento macht’s Harnoncourt, wie die dickste Glocke im Kirchenturm und mit genau dem pathetischen Schwung.
Die Unvollendete, hier als Symphonie Nr. 7 angeboten, gehört mit Einschränkungen doch zu den Erfolgen dieser Gesamtaufnahme. Im ersten Satz kommt es durch die Aufwertung von Sekundärlinien zu interessanten Klangwirkungen. Doch der Satz fließt nicht kontinuierlich. Höhepunkte werden dramatisch und drohend gestaltet, aber dazwischen passiert nicht genug, um die Verbindung herzustellen. Der Schluss des Allegro moderato ist eher demonstrativ als empfunden. Das Andante con moto wird sehr gefühlvoll dargeboten.
Die Achte Symphonie (auch die Neunte genannt), die Große C-Dur, bleibt in den beiden ersten Sätzen routiniert. Im Scherzo kommt dann mehr Fantasie ins Spiel, und Harnoncourt schwingt wieder das Tanzbein. Das Finale fließt schnell und hymnisch.
Die beiden letzten Schubert-Messen hat Harnoncourt – wie auch die Symphonien – schon einmal aufgenommen. Er siedelt sich damit im Interpretationsspektrum mittig an. Er zelebriert nicht große Chorwerke in huldigender Feierlichkeit, geht aber auch nicht den Weg ins Werkinnere, sondert erreicht mit modernen Instrumenten einen schon fast wieder historisierenden Klang, dem Grandeur und Dramatik Biss geben. Solisten, Chor und Orchester sind von guem Niveau, die Aufnahmen selbst sehr ausgewogen und von bestechender Transparenz.
Und wenn es denn nicht schon genug wäre mit Symphonien und Messen, wird zu guter Letzt auch noch die dreiaktige heroisch-romantische Oper ‘Alfonso und Estrella’ angeboten.
Zum Werk sei ein Text zitiert, den unser Mitarbeiter Guy Wagner verfasst hat: « Und wieder waren des armen Franz Schuberts Hoffnungen 1822 zunichte geworden! ‘Alfonso und Estrella’, seine große Oper, für die er sich mit Freund Franz von Schober zusammengetan hatte, der wusste, was des Wiener Publikums Geschmack war, war mit einer unglaublichen Begeisterung entstanden: In kaum drei Wochen war der erste Akt fertig, 182 Partiturseiten, für den zweiten brauchte Franz nur fünfzehn Tage, und kaum vier Monate danach, war die Musik ganz fertig, gut über zwei Stunden. Doch auch diesmal gab es eine Enttäuschung: Der engstirnige Kaiser Franz II. hatte den italienischen Impresario Domenico Barbaja nach Wien geholt, und der hielt es mit Rossini. Wieder Pech für Franz! Er sollte seine Musik nie hören, und erst unter dem Impuls von Franz Liszt wurde sie 1854 erstmals aufgeführt… Doch dann entsprach sie nicht mehr dem Zeitgeist, und die wenigsten konnten die feinen Qualitäten der Musik ausmachen, einmal ganz abgesehen von der ‘Geschichte’. Alfonso, Sohn des abgesetzten Königs Froila, verliebt sich in Estrella, die Tochter des Usurpators Mauregato. Diese wird auch von dessen General Adolfo begehrt, der aber von ihr zurückgestoßen wird. Nach manchen Irren und Wirren finden die richtigen zusammen und besteigen den Königsthron. Gut, Schober scheint von Operndramatik nicht viel verstanden zu haben, und Schubert ist ihm leider nur allzu willig gefolgt: Zu oft werden dramatische Augenblicke durch lange Duo und die emotionale Spannung durch den Chor gebrochen. Und doch! Wie fein sind die Schönheiten dieser abwechslungsreichen Musik, wie wunderbar die Harmonien und die orchestralen Kostbarkeiten, wie eindrucksvoll der melodische Reichtum: an sich schon eine helle Freude! »
Ja, dieser melodische Reichtum blüht bei Harnoncourt in großer Schönheit auf, aber der Dirigent gleicht die Brüche in der Spannung und Dramatik nicht wirklich aus. Dabei hätten seine Sänger-Darsteller, die ihr Metier beherrschen, durchaus mehr geben können, wenn es der Dirigent von ihnen verlangt hätte. Christian Gerhahers Froila strahlt viel Güte aus, Dorothea Röschmann ist eine bezaubernde und in ihrer Verliebtheit sehr dezidiert auftretende Estrella. Jedoch bleibt der etwas säuerlich klingende Tenor Kurt Streit dem Alfonso viel an Feuer schuldig. Schwach ist auch der Rundfunkchor Berlin, dessen Gesang die klare Artikulation fehlt.
Nachdem ich Christophe Rousset jetzt zweimal im romantischen französischen Repertoire erlebt habe, frage ich mich, was dieser Dirigent wohl aus einer Oper wie ‘Alfonso und Estrella’ an Dynamik herausnehmen würde. Gewiss mehr als Harnoncourt, dem man für diese Aufnahme wie auch für die der Symphonien vor allem eines vorwerfen muss: einen Mangel an Konsequenz und einen zu prononcierten Hang zu orchestraler Schwere.
Das Klangbild der Aufnahmen ist recht gut und detailreich, wobei der akustische Gewinn beim Umschalten von Stereo auf Surround-Klang enorm ist.
There are delightful trios in the symphonies, yet a rather heavy sound in other parts make this set uneven. The music would have been more charming with a lighter and sparkling sound. The masses are good stuff, however the opera Alfonso and Estrella seriously lacks punch, fluidity and pace.