André Grétrys 1789, wenige Wochen vor der Französischen Revolution in Paris uraufgeführte Oper Raoul Barbe Bleue gehört zur Gattung der Opéra Comique und wurde komponiert nach einem Libretto von Michel-Jean Sedaine. Dieses ist inspiriert von Perraults La Barbe Bleue sowie von mittelalterlichem Romanmaterial, insbesondere Le roman du châtelain de Coucy & de la Dame de Fayel und La châtelaine de Vergy.
Richard Wagner hat, laut seinen Memoiren, die Oper im Alter von fünf Jahren in Dresden gesehen. Trotz Wagners Begeisterung fiel sie in Vergessenheit. Sie wurde 2016 in Frankreich wiederbelebt, und danach im November 2018 vom Centre de Musique Baroque de Versailles und dem Barokkfest Early Music Festival in Trondheim (Norwegen) erneut gespielt, wo auch die vorliegende Aufnahme entstand.
(Remy Franck) – Die schöne Isaure und ihr Geliebter Vergy haben Probleme mit ihrer Liebe: Die Brüder von Isaure lehnen Vergy ab und wählen für sie Raoul als Ehemann aus.
Sobald sie jedoch Raoul geheiratet hat, stellt er sie auf die Probe, indem er ihr zur Aussteuer einen Schlüsselbund gibt, mit dem sie alle Türen des Schlosses öffnen kann, einen Raum jedoch nicht betreten darf. Sie dringt natürlich in den verbotenen Raum ein und findet dort die Köpfe früherer Frauen von Raoul. Inzwischen hat sich Vergy auf der Burg in der Verkleidung seiner Schwester Anne eingeschlichen, aber er kann Isaure nicht helfen: Sie sind eingesperrt. Vergy gelingt es, den Brüdern von Isaure eine Nachricht zukommen zu lassen. Diese eilen herbei, um das Paar zu befreien und den tyrannischen Raoul zu Fall zu bringen.
Obwohl Opéra Comique hat die Oper mitunter auch eine geheimnisvolle, dunkle Atmosphäre. Ansonsten gibt es in der Musik viele nicht immer bemerkenswerte
Melodien und eine üppige Orchestrierung, die Dirigent Martin Wahlberg mit viel Impetus aber auch Sorgfalt für die vokalen Linien behandelt. Das Orkester Nord spielen engagiert und dynamisch.
In der Titelrolle brilliert Matthieu Lécroart mit tadellosem Gesang, einer guten Darstellung und viel Textverständlichkeit. Die Isaure von Chantal Santon Jeffery ist gefällig, während ihr Liebhaber Vergy in der Person von François Rougier mit einer guten Leistung aufwartet.
Die Nebenrollen sind zufriedenstellend besetzt, so dass, aufs Ganze gesehen, eine exzellente Wiederbelebung dieser aparten Oper zustande kam.
(Uwe Krusch) – Blaubart von Bartók, Dukas oder Offenbach sind bekannt. Die Vertonung von Grétry, kurz nach der französischen Revolution erstmals gegeben, bemächtigt sich nicht nur des Tyrannenmords, sondern hält auch der überkommenen Zeit den Spiegel vor. In knapp eineinhalb Stunden entfaltet Grétry seine Version, die auf den ersten Blick, zumindest vor dem inhaltlichen Hintergrund, äußerst fröhlich erscheint. Doch auf dem zweiten Ohr eröffnen sich Tiefe und Ernsthaftigkeit. Dass diese Oper nicht die Berühmtheit der genannten anderen erreicht, liegt daran, dass ihre in kleine Nummern aufgesplittete Struktur heutige Ohren nicht so begeistert. Dass sie trotzdem aller Ehren wert ist, zeigt diese Einspielung.
Ein weiterer Punkt ist die Nähe zu Charles Perrault, dessen Märchen vertont wurde. Isaure hat ihrem Geliebten Vergy Treue geschworen, bricht sie, weil sie vom Ritter Blaubart verführt wird und ihn heiratet. Als er sie anweist, in seiner Abwesenheit auf der Burg eine bestimmte Tür nicht zu öffnen, setzt sie sich darüber hinweg und entdeckt die toten Exfrauen, übrigens auf drei reduziert. Als Blaubart zurückkehrt, wird es turbulent. Aber, hier weicht Grétry ab, ihr Ex-Geliebter Vergy hat sich als weitere Frau verkleidet, auf die Burg geschlichen und kann seine Isaura retten. Eben, und wenn sie nicht gestorben sind, …
Die Aufnahme entstand, vielleicht für eine französische Oper eines Belgiers überraschend, in Norwegen bei einem Barockfestival. Das Orkester Nord mit skandinavischen Künstlern hat sich dem historisch informierten Spiel verschrieben. Hier entwickeln sie ein Feuerwerk an spritzig artikulierter Musik. Dazu angestoßen werden sie von Martin, der als Cellist startend, nunmehr mehr ins Dirigierfach und speziell zur Oper hin wechselt. Was er hier, seine Ersteinspielung Opern betreffend, aus dem Orchester und den Gesangssolisten herausholt, ist vom Feinsten. Den Namen sollte man sich merken, so scheint es.
Die Sängerriege ist ganz und gar Französisch, wenn auch noch kaum bekannt. In den drei Hautprollen singen François Rougier als Vergy, Chantal Santon Jeffery fürIsaure und Matthieu Lécroart als Bösewicht Raoul. Sie haben ihre Chance genutzt, was übrigens auch für die Besetzungen der kleineren Rollen gilt, sich ins beste Licht zu rücken. Da mag mal eine Wendung nicht von der Perfektion sein, die ein arrivierter Künstler erreicht, aber das ist völlig Nebensache, wenn der Ausführung so voller Energie und auch technischer Feinheit gelingt, wie hier.
Wohl die erste Einspielung des Werkes darf also als rundum gelungen bezeichnet werden. Das Label Aparté, auch mit anderen Raritäten immer wieder positiv aufgefallen, hat einen guten Griff getan. Dass Aufnahme und Realisierung ebenfalls den höchsten Ansprüchen genügen, sei nur nebenbei erwähnt.