Die vorliegenden zwei Einspielungen von Britten- und Korngold-Werken verdienen eine längere Einführung. Manch einer mag sich erstaunt gefragt haben, wer der Herr mit Zwicker auf dem Cover der neuen CD ist. Nun, das ist der Mann, dem wir die beiden hier eingespielten Werke verdanken: Paul Wittgenstein (1887–1961). Wittgenstein, ein berühmter Name, fürwahr! Ein Vater, Karl, der seinen Reichtum als Stahlbaron gemacht hat, ein Bruder, Ludwig, der zu den wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts gezählt werden muss und den genialen Alan Turing unterstützt hat, der im 2. Weltkrieg das System der ‘Enigma’-Maschine geknackt und damit die Wende im U-Boot-Krieg herbeigeführt hat. Paul hatte zudem drei Brüder, die sich das Leben nahmen: Hans, Rudolf und Kurt, und zwei Schwestern, Hermine und Helene, die trotz ihrer jüdischen Abstammung Österreich, nach dem ‘Anschluss’ von 1938 die ‘Ostmark » nicht verlassen wollten. Ein interessantes Dokument zu den Wittgensteins birgt die Internet-Seite: http://www.irenesuchy.org/pdf/nzm_jan05.pdf.
Paul Wittgenstein, hatte, gegen den Willen der kunstbegeisterten Eltern, Klavier bei Malvine Brée und bei Teodor Leszetycki studiert und am 26. Juni 1913 im Wiener Musikverein sein ersten öffentliches, viel beachtetes Konzert gegeben. 1914 wurde er mit den Ersten eingezogen, kam an die Ostfront, wurde am rechten Ellbogen verwundet und in Polen von russischen Soldaten gefangen genommen. Sein rechter Arm musste amputiert werden, der Verwundete wurde sechs Monate nach Sibirien verschleppt und litt unsägliche Qualen. Erst bei einem Gefangenenaustausch kam er nach Wien zurück. Während seiner Genesung beschloss er, seine Karriere unter der alleinigen Benutzung der linken Hand fortzusetzen und zugleich Lehrer zu werden. Er wandte sich an zahlreiche Komponisten mit der Bitte, Klavierwerke für die linke Hand zu schreiben. Sergei Bortkiewicz, Rudolf Braun, Walter Bricht, Hans Gál, Leopold Godowsky, Paul Hindemith, Erich Wolfgang Korngold, Josef Labor, Sergei Prokofjew, Maurice Ravel, Felix Rosenthal, Moriz Rosenthal, Franz Schmidt, Eduard Schütt, Henry Selbing, Richard Strauss, Jenő Takács, Alexandre Tansman, Ernest Walker, Karl Weigl und Juliusz Wolfsohn sagten zu, da Wittgenstein sehr gut bezahlte. Er konnte er es sich daher auch leisten, fast mit jedem der Komponisten Krach zu bekommen.
Eine Reihe der für ihn geschriebenen Werke hat er auch überhaupt nicht gespielt, so das 4. Klavierkonzert von Prokofiev oder die ‘Klaviermusik mit Orchester’, op. 29, von Paul Hindemith, die erst am 9. Dezember 2004 in Berlin von Leon Fleisher und den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle uraufgeführt worden ist.
Mit dem ‘Concerto pour la main gauche’ von Ravel, dem wohl genialsten Werk, das für ihn komponiert wurde, konnte er sich ebenfalls nur schwer anfreunden, hat sogar in die Komposition eingegriffen, so dass dessen Uraufführung erst am 5. Januar 1932 in Wien stattfand… und den Bruch mit dem wütenden Ravel vollzog.
Natürlich mussten auch Paul Wittgenstein und seine Lebensgefährtin Hilde Schania vor den Nazis aus Österreich fliehen. Da aber sein gestrenger Vater klugerweise « den Großteil des gewaltigen Vermögens knapp vor seinem Tod in den USA und in der Schweiz angelegt hatte, blieb Paul Wittgenstein ungeachtet aller Inflationswirren Multimillionär », heißt es bei Wikipedia. Allerdings wurde er von den braunen Monstern so stark unter Druck gesetzt, dass er einen Teil des Vermögens, man spricht von 215 Kilo Goldbarren, herausgeben musste, um seine beiden Schwestern und die restliche Familie zu retten. « Dafür bescheinigten die Nazis dem Wittgensteinschen Ahnherrn Hermann Christian auf Weisung Hitlers prompt ‘arische’ Abstammung, » steht bei Wikipedia.
Einen der letzten Komponisten, den Paul Wittgenstein um ein Werk bat, war der junge Benjamin Britten, ein überzeugter Pazifist, der genau wie er, inzwischen in die USA ausgereist war. Britten komponierte 1940 für Wittgenstein seine « Diversions for piano left-hand and orchestra ». Wie Beethoven und Brahms, zeigte er darin seine frühe Vorliebe für die Variationsform. Allerdings gefiel Wittgenstein die Orchestrierung des Werkes wiederum nicht. Er spielte das Werk trotzdem, am 16. Januar 1942, mit dem Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy und behielt jahrelang die Aufführungsrechte für sich.
Das war auch der Fall für Korngolds Klavierkonzert in Cis-Dur, das Wittgenstein am 22. September 1924 in Wien unter der Leitung des Komponisten uraufführte und das dem Pianisten derart gut gefiel, dass er gleich ein zweites Werk bei Korngold bestellte. Das Ergebnis war die ‘Suite für 2 Violinen, Violoncello und Klavier (linke Hand) », op. 23 (1930). Das exklusive Aufführungsrecht, das Wittgenstein auch hier für sich beanspruchte, war mitschuldig daran, dass beide Werke erst spät ins Bewusstsein der Musikfreunde gekommen sind.
Diese neue Produktion von ‘Editons Hortus’ wird den Kompositionen von Britten und Korngold vollauf gerecht. Der Pianist Nicolas Stavy bestätigt sein tiefes Verständnis für die beiden Musiken: Die von Britten ist überlegen, kühl, intelligent und brillant für den Solisten und das Orchester, die von Korngold, obschon aus zehn Abschnitten bestehend, hat doch deutlich drei Teile und ist sehr emphatisch bis elegisch, aber auch sehr lyrisch bis expressiv aufbrausend. Solchen Qualitäten fügt Stavy weitere hinzu: eine Klarheit und ein Raffinement, die man sehr wohl ‘französisch’ nennen darf und gerade dem Korngoldschen Werk zugutekommen: Es erhält dadurch eine Leichtigkeit und einen Charme, die unwiderstehlich sind, zumal das Orchester von Lille unter der präzisen, akkuraten Leitung von Paul Polivnick, eine Symbiose mit dem Solisten verwirklicht und die Balance zwischen Klavier und Orchester optimal ist. Erfreulich ist auch, dass die zehn Abschnitte des Korngoldschen Konzertes ebenso detailliert angegeben werden, wie das Thema und die elf Variationen von Britten fein säuberlich ihren Track erhalten. Wir haben es demnach mit einer gepflegten, klanglich hochwertigen CD zu tun, die den ‘Editions Hortus’ zur Ehre gereicht.
In their performances of the two works by Korngold and Britten, Nicolas Stavy and Paul Polivnick convey a lot of understanding and insight for the music. The notable refinement carries a somehow French charm which suits the Concerto as well as the Diversions.