Von 2011 bis 2019 war Michael Sanderling Chefdirigent der Dresdner Philharmonie. Er leitet heute das Luzerner Sinfonieorchester. Mit einer beeindruckenden Aufführung von Dvoraks Totenmesse kehrte er wieder einmal nach Dresden zurück. Michael Oehme berichtet.
Das Engagement Sanderlings in Dresden fiel in die Zeit des Umbaus des Festsaals des Kulturpalastes in einen modernen, inzwischen hochgelobten Konzertsaal. Mit viel Fantasie und Leidenschaft musste er in viele provisorische Spielstätten ausweichen, ohne dabei Abstriche an der künstlerischen Qualität des Orchesters zuzulassen. Dass ihm das gelungen war, bezeugen u. a. seine Beethoven- und Shostakovich-Einspielungen bei Sony Classical. Auf die außerordentlichen Qualitäten der Dresdner Philharmonie konnte er nun auch bei Dvoraks Requiem bauen. Das Orchester brillierte in allen Instrumentengruppen, klang bemerkenswert geschlossen und diszipliniert und strahlte dennoch die für Dvorak so wichtige musikalische Wärme aus.
Ihm zur Seite gestellt wurde ein wirklich erlesenes Solistenensemble, dessen ausgewogenes Zusammensingen Seltenheitswert beanspruchen kann. Leuchtend schwebend, gerade im äußersten Pianissimo, der Sopran von Simona Saturová, gefolgt von einem wirklich dunklen, ergreifenden Mezzo Anna Lapkovskajas, hell und überwältigend klar strahlend der Tenor von Benjamin Bruns, profund sowie Text und Musik entsprechend teils furchterregend der dunkle ausdrucksstarke Bass von Tomasz Konieczny. Höchster sängerischer Genuss also, der in die überirdische Leistung des Prager Philharmonischen Chores eingebettet war. Das Ensemble aus Prag mit etwa 80 Sängerinnen und Sängern ist einer der wenigen professionellen Konzertchöre Europas, die groß besetztes Repertoire noch adäquat und in höchster Qualität darstellen können (In Deutschland gibt es hierfür nur noch den Rundfunkchor Berlin und den MDR Rundfunkchor in Leipzig.). Die Wiedergabe durch die Gäste des von ihrem Leiter Lukás Vasilek einstudierten Chores aus Prag – Authentischeres lässt sich für die Musik Dvoraks freilich auch nicht vorstellen – war überwältigend, die Homogenität des ganzen Chorklangs in allen dynamischen Schattierungen und emotionalen Ausbrüchen bewundernswert. Die a-cappella-Passagen (Offertorium, Hostias) sowohl der Männerstimmen allein als auch des ganzen Chores ließen den Atem stocken, die gewaltigen Schlussfugen (Quam olim Abrahae) erschütterten. Gefühlt minutenlange Stille und Ergriffenheit nach dem letzten Ton, dann Jubel im nicht ganz gefüllten Saal (es gab am Folgetag noch eine zweite Aufführung), auf jeden Fall ein Plädoyer für den Erhalt dieser unschätzbar wertvollen Musikkulturen in der Mitte Europas.