‘Variations Sérieuses’, dieser Titel fasst die CD von Gunilla Süssmann trefflich zusammen. Drei bedeutende Variationswerke, absolute Meisterstücke der jeweiligen Komponisten, vereint sie auf einer Veröffentlichung. Es mag verwundern, dass neben zwei Variationswerken in eher klassischer Form eine Ballade steht. Doch auch die g-Moll-Ballade von Edvard Grieg besitzt eine Variationsform, wenngleich sie im Laufe des Geschehens immer weiter bröckelt und sich schließlich in den Variationen 10 bis 14 komplett in eine balladesk metamorphosierende Form auflöst. Das zugrunde liegende Thema entstammt Ludvig Mathias Lindemans Volksmusiksammlung « Ældere og nyere norske Fjeldmelodier » (Ältere und neuere norwegische Gebirgsmelodien) und heißt « Den nordlandske Bondestand » (Der nordländische Bauernstand – im Sinne von Bauernschicht) und wurde im Juli 1848 in Valders von Anders Nilsen Perlesteinbakken gesungen. Die Ballade ist gemeinsam mit dem etwas später entstandenen Streichquartett – ebenfalls in g-Moll – die künstlerische Frucht einer tragischen Zeit: Kurz zuvor waren beide Elternteile Griegs verstorben und auch die Ehe mit seiner Cousine Nina bröckelte. Grieg entlockt dem Thema Gefühle von Trauer und Verzweiflung, aber auch von sich aufbäumender Wut, von Hoffnung, und volkstänzerische Episoden kontrastieren, bis er das Thema schließlich in den Wahn getrieben bis auf eine Wechselnote herunterbricht und alles in den Abgrund stürzen lässt (auf eine ‘falsche’ Note, die erst kurz vorm Verklingen aufgelöst wird) – das Thema kehrt wieder, all die Mühe scheinbar zwecklos.
Gunilla Süssmann hat einen vollkommen unprätentiösen Zugang zu den drei großen Werken des 19. Jahrhunderts. Sie verliert sich nie in übermäßige Details oder Träumereien, hat stets das Gesamte im Auge. Schlichtheit und Natürlichkeit stehen dabei an oberster Stelle, frei von Verkünstelung oder Selbstdarstellung. Dabei spielt sie klar und sehr durchhörbar mit einer beinahe maschinellen Präzision und zugleich mit einem einfühlsamen Ton ohne zu große Härte. Wiederholungen sind bei Süssmann niemals eine exakte Repetition des bereits Gespielten, immer wieder versucht sie, einen neuen Aspekt hervorzuholen oder eine andere Stimme zu beleuchten. So leben auch die Unterstimmen bei Süssmann, der gesamte Komplex der Linien kommt zur Geltung. In allen drei Variationswerken spinnt sie einen roten Faden durch das gesamte Stück und lässt es – sogar den über dreißig Minuten dauernden Brahms mit seiner phänomenalen Schlussfuge – nicht in einzelne Teile zerbrechen. (Warum auch immer dafür im Tracking die Variationen der als Kontinuum zusammengehörenden Grieg-Ballade einzelne Nummern erhalten, ist mir jedoch schleierhaft – zumal dies fehlerhaft geschah, die Variationen 6 und 7 sowie 11 und 12 sind jeweils in einer Nummer zusammengefasst).
Eine große Vielfalt entlockt sie der umfangreichen Klavierballade von Edvard Grieg, verliert dabei jedoch niemals ihre sachliche Einfühlsamkeit. Sie behält eine gewisse Distanz und hebt dabei einige Stellen durch wohlüberdachte kleine Rubati hervor, lässt sich auch gerne mal kurzzeitig von spielerischen Passagen treiben oder von Kantilenen verzaubern – dabei gelingt eine ausgeglichene Mischung. Mendelssohns ‘Variations sérieuses’ verbleiben in einem ernsten und schlichten Duktus, wie beiläufig fließen die halsbrecherischsten Schwierigkeiten am Hörer vorbei, den Blick aus das Wesentliche verliert die norwegische Pianistin nie. Brahms tönt geerdeter und tiefer mit einer robusten, kernigen Note, die dem Werk auch durchaus zusteht. Ebenso fehlt der Pomp nicht, den das Thema vorgibt, und auch dieser wird nicht ins Übermäßige gesteigert.
Es gibt nur weniges, was zu wünschen übrig bliebe. Persönlich eilen mir – auf Detailebene betrachtet – die dritte und fünfte Variation der Grieg-Ballade etwas zu sehr nach vorne (Adagio / Più lento), in der dritten kommt so das Stretto des plötzlichen Aufschreis überhaupt nicht mehr zur Geltung und in der fünften erscheinen die rubato-Aufgänge unorganisch, die ritardando-Sechzehntel sind langsamer als die vorherigen Achtel (auch wenn diese selbstverständlich – stretto – etwas schneller werden im Verlauf). Bei Brahms setzt sich gegen Ende der Fuge doch Härte durch, und die knallenden vollstimmigen Akkorde reißen den Hörer etwas verfrüht aus dem riesenhaften Werk zurück.
Doch handelt es sich hierbei eher um Marginalien in Anbetracht des ansonsten herausragenden Spiels von sachlicher Ungekünsteltheit bei ernsten Themen.