Steve Reich: Double Sextet, Radio Rewrite; Ensemble Signal; Brad Lubman; 1 CD Harmonia Mundi HMU 907671; Aufnahme 2011/2016, Veröffentlichung 08/2016 (39'45) - Rezension von Oliver Fraenzke

Was ist es, das Steve Reich von all den anderen Minimalisten absetzt, von Philip Glas, Michael Nyman oder Populärmusikern wie Yann Tiersen und Ludovico Einaudi? Es sind der treibende, pulsierende und groovende Rhythmus, die subtilen Rhythmusmetamorphosen (besonders in ‘Drumming’ oder ‘Piano Phase’ zu bewundern), die einzigartige volle Instrumentationsweise trotz kleiner Besetzung und nicht zuletzt die Kontraste, die trotz aller Flächigkeit zwischen den einzelnen Passagen entstehen. Am heutigen 3. Oktober wird der Komponist 80 Jahre alt und kann zurückblicken auf ein erfülltes Leben, in welchem er die Musikgeschichte mit Nachdruck prägte, anerkannt von so kontrahären Interessengruppen wie den Avantgardisten (seine ‘Desert Music’ wurde z. B. in der Münchner Musica Viva gespielt, einem regelrecht ‘heiligen’ Zentrum der reinen Geräuschforschung), den Populärmusikern oder den Anhängern der durch strukturgebende Tonalität gestützten oder vollkommen eigene Wege suchenden neuen Musik.

Das dreisätzige ‘Double Sextet’ stellt in der ursprünglichen Idee einem Sextett die Aufgabe, gegen ihre eigene Playback-Aufnahme anzuspielen und den Klang dieser zu vervollständigen. Auf dieser Aufnahme erklingt das Stück jedoch – von Reich übrigens gebilligt und sogar in mancherlei Hinsicht als sinnvoller empfunden – in der Fassung für zwei nebeneinander aufgestellte gleich besetzte Sextette (Violine, Cello, Flöte, Klarinette, Klavier, Vibraphon). Hier lohnt es sich endlich einmal rundherum, eine gute Stereoanlage zu haben, so erst kann der grandiose Effekt voll ausgekostet werden!

‘Radio Rewrite’ ist ein Werk für elf Musiker und besteht aus fünf kurzen Sätzen. Reich zitiert hier Material der Band ‘Radiohead’, mit welcher er bereits früher kollaborierte.

Zugegebenermaßen gestaltet es sich als schwierig, die Musik von Steve Reich dem Hörer zu versauern – sofern die Musiker über die technischen Voraussetzungen und ein solides Rhythmusgefühl verfügen -, was bei Mozart, Schumann, Chopin, Fauré oder anderen so leicht geschieht. Doch können die Musiker durchweg überzeugen in beiden Darbietungen, ungeachtet der fünf zwischen diesen liegenden Jahren. Die Musik hat einen treibenden Groove, einen stimmigen, mechanisch wirkenden Touch und einen mitreißenden Swing. Das Ensemble Signal unter Brad Lubman kontrastiert die einzelnen Abschnitte deutlich, wodurch die Unterteilungen klar erkennbar sind und auch die Gefahr von Langeweile in den längeren Sätzen des Sextetts nicht aufkommt. Bestechend ist der exakte und brillante Rhythmus, der nicht gemacht wirkt, sondern in aller Freiheit und Unbekümmertheit pulsiert, aus einem Atem und präzise abgestimmter Synchronizität heraus.

Die beiden zeitgleich erklingenden Sextette ergänzen sich unter der koordinierenden Führung von Brad Lubman zu einem symbiotisch zusammenwirkenden Ganzen. Besonders mit Kopfhörern wird hier die Verschiebung und Ergänzung der Stimmen deutlich. Es entsteht gerade im langsamen Satz eine gewollte minimale Verschiebung der Melodie – welch ein betörender Effekt, ein- und dasselbe in vollkommen abgestimmtem Klang am Rande der sinnlichen Wahrnehmung versetzt zu hören!

Vielleicht wäre es jedoch zu alledem noch wünschenswert (was ausdrücklich nur für die Musik Reichs gilt, für beinahe jede andere Musik die unumkehrbare Zerhackstückelung bedeuten würde), wenn die Musiker – die Rhythmusgruppe allen voran – noch etwas härter, nachdrücklicher und passionierter den Rhythmus dominierten, so dass es noch mehr nach maschineller Gleichförmigkeit klingt, das menschliche Element beinahe ausgelöscht erscheint. Minimalismus lebt kaum von feiner Ausgestaltung, sondern von der perfekten mechanischen Gleichförmigkeit, von der Egalität und dem hämmernden Impuls. Dies wird deutlich – doch gilt hier, je mehr je besser!

Playing with an inalienably sweeping groove, a mechanical touch and intended harsh contrasts, the Ensemble Signal convinces under the direction of Brad Lubman with two keyworks by Steve Reich.

 

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