So vital, so brillant wie ‘Esperanza’ spielen zwar noch etliche andere Kammerorchester in der obersten Liga, aber wenn es um das Innenleben, um das Raffinement geht, können selbst unter den besten viele nicht mehr mit dem mithalten, was in dieser Aufnahme offenbar wird.
‘Esperanza’ ist kein Orchester, das nur perfekt zusammenspielt und gewollt spektakuläre Interpretationen abliefert, nein hier gehen die Feinheiten nicht unter, hier hört die Musik nicht auf, zwischen schwer und leicht zu atmen, hier wird keine kontinuierliche Gleichförmigkeit produziert, hier klingt nichts harmlos oder bloß dekorativ: Chouchane Siranossian und ihre jungen Kollegen sorgen sich ums Detail, rhythmische, motivische und instrumentatorische Pointen werden liebevoll herausgearbeitet und wieder zu einem kohärenten Ganzen zusammengefügt.
So kommt das genuin Tänzerische in der ‘Gavotte’ aus Griegs ‘Holberg-Suite’ in einem aufs Feinste gesteuerten Bewegungsablauf zum Ausdruck, während im ‘Air’ den verträumten Gefühlen ein Schuss Resignation, Trauer und Hoffnungslosigkeit beigemischt wird, und das mit einer Wahrhaftig-und Unmittelbarkeit, dass einem der kalte Schauer den Rücken hinunterläuft.
Glücklicherweise reißt einen der ungemein verspielt-barockgewandte ‘Rigaudon’ aus dieser Herzwehstimmung heraus, wenngleich bittere Nachklänge in den vierten Satz zurückreichen. ‘Esperanza’ hat der ‘Holberg-Suite’ das Perückenhafte definitiv ausgetrieben.
Die Suite von Frank Bridge, 1909 entstanden, beginnt mit einem sehr tiefschürfend gestalteten ‘Prelude’, das im Atmosphärischen weit über die gemeinhin hier gebotene Eleganz hinausgeht. Das gilt auch für das ‘Intermezzo’, dessen motivische Vielfalt sich oft in bloßer neoklassischer Verspieltheit äußert und hier eine vollkommen neue Eloquenz bekommt. Und das ‘Notturno’ wurde wohl noch nicht oft so bewegend gespielt wie in dieser Aufnahme. Die ‘Esperanza’-Musiker erreichen in diesem Satz einen Grad an Vertiefung, dass man fast nicht mehr zu atmen wagt. Umso mehr Verve bringen sie dann ins Finale ein.
Als Nielsen seine Streicher-Suite schrieb, war er ungefähr so alt wie die meisten Musiker des Orchesters der Musikakademie aus Liechtenstein, wo ‘Esperanza’ gegründet wurde. Packend, mit einigen glühend-heißen Akzenten wird der erste elegisch-romantische Satz gespielt, fein differenziert wird der Walzer, während das Finale in voller dynamischer Bandbreite romantische Tiefendimensionen der besonderen Art erreicht.
Gustav Holst hatte immer sehr viel für die Volksmusik der britischen Inseln übrig, und er beginnt seine ‘St. Paul’s Suite’ mit einem tollen ‘Jig’, das von ‘Esperanza’ kraftvoll-federnd gespielt wird. Das Stück, das der Komponist übrigens für ein Jugendorchester komponierte, wird mit einem fein differenzierten ‘Ostinato’ fortgesetzt, während das ‘Intermezzo’ mit seinen im Charakter so unterschiedlichen Themen wunderbar prägnant und perspektivenreich wird. Den letzten Satz nennt Holst ‘The Dargason’, und dieser Bauerntanz braucht genau die Mischung von Wucht und Schwung, die diese Interpretation kennzeichnet.
Und so endet das Programm auf demselben interpretatorischen Niveau wie es begonnen hat: ‘Esperanza’ präsentiert vier ungemein rhetorische Aufnahmen, in denen, wie der Vergleich mit andern Einspielungen zeigt, nichts geschmackvoll verbrämt, sondern alles direkt ausgesprochen und ohne Umschweife expressiv ausgespielt wird.
Und so herausragend die instrumentale Realisierung dieses Programms ist, so gut ist die Aufnahmetechnik, die den Klang dieses Weltklasse-Ensembles mit seiner unmittelbaren Musikalität optimal ausgeleuchtet wiedergibt. Bravi tutti!