Haben Sie ein Klangideal?
Ich mag es, wenn der Ton intensiv ist. Er sollte mit Vibrato schwingen, aber auch nicht zu breit und dadurch unscharf werden. Hauptsache, es brennt darin wirklich. Durch mein Studium in Frankreich und Deutschland habe ich den Unterschied zwischen französischem und deutschem Klangideal kennen gelernt. In Frankreich geht es darum, dass die Musik spricht. Das deutsche Ideal zielt mehr aufs Singen ab. In Frankreich ist dafür die Rhetorik extrem wichtig.
Wie funktioniert so etwas mit einem Orchester?
Das Orchester ist so groß, es gewinnt immer. Umso mehr geht es darum, das Orchester wirklich überzeugen zu können. Ich musste bei den Werken dieser Aufnahme deutlich zeigen, was ich will und meine eigene Stimme mit anderen Elementen vereinen. Wenn da Piano steht, geht es darum, dass es auch zusammen mit 50 Leuten, die zusammenspielen, leise klingt. Ich muss schon vorher wissen, was ich will. Wenn ich nicht weiß, dass ich an einer Stelle einen Dialog mit dem Fagott habe, dann werde ich nicht das Fagott hören. Ebenso braucht es viel Flexibilität und Offenheit in Bezug auf alles, was spontan kommt. Die aktuelle CD-Aufnahme mit dem Kammerorchester Genf hat mir in dieser Hinsicht viele neue Erfahrungen gegeben.
Müssen Sie nicht auch mal den Kopf ganz ausschalten, um sich der Musik öffnen zu können?
Es geht darum, so gut vorbereitet zu sein, dass man alles vergessen kann.
Was bedeutet Ihnen die Musik von Frank Martin und wo liegen die Herausforderungen?
Frank Martins Cellokonzert und seine Ballade haben einen tiefen Ernst und alles ist sehr präzise geschrieben. Viele Doppelgriffe mit Quarten und Quinten sind überhaupt nicht cellistisch. Das berührt und ist tief bewegend. Mal ist es sehr dunkel, dann wieder ganz hell – was manchmal eine himmlische Atmosphäre erzeugt. Die Sonne scheint oft nicht in dieser Musik, aber dann ist sie doch zu finden. Es gibt viele Überraschungen, etwa ein Saxofon im Orchester oder eine Valse wie bei Ravel.
Sehen Sie etwas Religiöses in Frank Martins Musik?
Das Religiöse ist immer da – auch wenn es nicht offen zutage tritt. Es ist eine Introspektion – oder nennen wir es eine innere Reise. Kontraste sind sehr wichtig in der Musik.
Wird Frank Martin in der Schweiz genauso selten wie in Deutschland aufgeführt?
Ja, leider. Dafür gibt es praktische Gründe. Die Besetzung ist ungewöhnlich. Klavier und Saxofon kosten aber extra. Ebenso transportiert der Name Frank Martin auf Plakaten keine Signalwirkung. Es braucht mehr Probenzeit, weil diese Musik nicht im normalen Repertoire von Orchester und Cellisten ist. Oft mangelt es im eng getakteten Konzertalltag an Zeit, sich an solches Neuland zu wagen.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Xavier Dahier ergeben?
Die Idee zu diesem Projekt hat mit der Identität des Genfer Kammerorchesters zu tun. Wir wollen damit die reiche Kultur dieser Stadt unterstützen. Frank Martin ist der wohl wichtigste Genfer Komponist. Xavier Dahier ist ein junger Komponist aus Genf, der schon in der internationalen Karriere angekommen ist. Ich teile mit ihm den Wunsch, dass wir das Repertoire für unsere Zeit bauen wollen. Zu Mozarts Zeit haben die Leute auch immer neue Stücke gespielt und die waren dann ‘neue’ Musik. Aus diesem Bewusstsein heraus ist das Stück Lignes d‘Est entstanden. Wir haben uns per WhatsApp über Details verständigt wie Lagenwechsel, Glissandi etc. haben klangliche Beispiele ausgetauscht. Dies war für die Realisierung unserer Vorstellungen sehr wichtig.
Sehen Sie sich in einer Vermittlerrolle?
Auf jeden Fall! Beim Publikum kommt es sehr gut an, wenn ich zur Einführung ein paar zentrale Elemente in einem zeitgenössischen Werk vorstelle. Daraus lernt das Publikum und bekommt schnell die Erkenntnis, dass es nicht unbedingt eine Melodie braucht, wenn es um Bilder im Kopf geht. Eben deshalb halte ich auch Kinder für das ideale Publikum für zeitgenössische Musik. Sie nehmen alles, so wie es kommt und die Fantasie ist riesengroß. Ein Kind ist offen – ob ich Mozart oder Xenakis spiele, ist gleich. Es wird der Moment erlebt.
Haben Sie es genossen, unter den gegebenen Umständen mehr Zeit für die Einstudierung zu haben?
Es war ehrlich gesagt, kein Genuss. Ich bin zu 100 Prozent freischaffende Künstlerin und die momentane finanzielle Unsicherheit fühlt sich überhaupt nicht gut an. Wenn die Politik sofort gesagt hätte, wir machen jetzt ein Jahr ohne Konzerte und ihr bekommt trotzdem volles Geld, wäre es vielleicht eine sehr konstruktive Zeit geworden, um das Repertoire weiter zu entwickeln. Aber es kam ja leider alles ganz anders. Ich hatte viele Konzerte vorbereitet und dann wurde alles stumpf abgesagt. Das war einfach schrecklich. Ich hatte einen Riesenaufwand betrieben für ein Programm mit sehr vielen Uraufführungen und dann wurde drei Tage vorm Konzert alles gecancelt. Natürlich ohne, dass mir der finanzielle Schaden ersetzt wurde.
Der Qualität und Intensität der Aufnahme hat es aber nicht geschadet….
Die Produktion dieser CD war durch den Lockdown im letzten Frühjahr plötzlich in großer Gefahr – und dies nach dem monatelangem Üben. Also haben wir alles in Bewegung gesetzt, um die Aufnahme zu ermöglichen. Haben dafür gesorgt, dass man regelt, wie man auf der Bühne sitzen kann bei den herrschenden Abstandsregeln. Wir hatten nicht viel Zeit zum Probieren – es musste alles von Anfang an laufen und ich war mittendrin in den ganzen Verhandlungen und Planungen. Mein ganzer Überlebensinstinkt war geweckt. Ich wollte unbedingt spielen! Denn diese Aufnahme war meine letzte Verbindung mit dem Leben. Ich weiß nicht, ob man das hört – aber es hat gebrannt in mir! Die Leute merken meist nicht, was wir in der jetzigen Situation erleben. Die denken, alles ist gut, die können doch jetzt Videos machen. Sie merken auch nicht, dass es keine Unterstützung zum Überleben gibt und wie schmerzvoll es ist, für nichts zu üben. Auch deswegen bin ich unglaublich glücklich, dass die Journey to Geneva-CD gerettet werden konnte.
Haben Sie noch Live-Konzerte spielen können?
Zum Glück gab es nach der CD-Aufnahme noch ein paar Gelegenheiten für Kammermusik. Auch wenn nur noch Mini-Konzerte mit sehr kurzen Programmen möglich waren. Kurz vorm neuen Lockdown im November habe ich noch gespielt. Das war so intensiv, dass ich den Tränen nahe war. Es war schon eine sehr extreme Veränderung: Früher redeten wir über Konzerte mit 2000 Leuten. Jetzt war es auf einmal ein Ereignis, überhaupt für echte Menschen, vor sagenhaften 9 Leuten zu spielen.
Haben Sie Solidariät erlebt?
Wir haben alle ein Gefühl geteilt und waren so wütend und enttäuscht, dass alle Veranstaltungen verboten wurden. Wir haben einen offenen Brief an den Präsidenten geschrieben und ein Manifest veröffentlicht und viele Unterschriften gesammelt. Zu den Unterzeichnern gehören auch viele Politiker und große Institutionen. Nicht nur aus der Klassik, sondern aus der ganzen Kultur. Plötzlich wurde unsere Stimme stärker. Ich selbst habe verschiedene Parlamentarier angerufen, die waren teilweise selbst über die Diskrepanz zwischen Alltag und Wirklichkeit schockiert. Es gibt hier zwei verschiedene Realitäten, die nicht viel miteinander gemeinsam haben.
Hat Ihr kulturpolitisches Engagement Ihren Musikerinnen-Alltag verändert?
Es ist jetzt immens viel Arbeit um mich herum, weil mich alle als Ansprechpartnerin betrachten. Das muss ich alles zusätzlich noch stemmen. Ich denke, alles ist so wichtig. Ich muss einfach den Part übernehmen für Menschen, die keine Kraft mehr haben zu kämpfen. Zum Glück ist mein Überlebensgefühl sehr stark ausgeprägt. Ich merke, Kollegen sterben und lassen sich fallen. Ich habe umso mehr das Gefühl, man muss kämpfen und sich retten. Jeden Tag verlieren wir Kollegen. Wir haben viele online-videos gemacht und uns auch noch eingebildet, die Gesellschaft ist dankbar für Kultur. Jetzt dauert alles schon viel zu lange und es verschwinden die Perspektiven. Es gibt keine neuen Verträge und die bestehenden Verträge liegen alle auf Eis. Ich habe allein noch acht Konzerte, die verschoben worden sind. Dabei liegen vor jedem anspruchsvollen Recital in der Regel ca. 3 Monate Vorbereitung. Da kann ich dann ich jedes Mal wieder ganz von vorne anfangen.
Wie sieht jetzt Ihre unmittelbare Zukunft aus?
Im April geht es an die nächste Aufnahme, dafür muss ich jetzt zu üben anfangen. So etwas jetzt überhaupt machen zu können, ist ein Geschenk. Denn wer jetzt null Perspektiven hat und zusätzlich an der finanziellen Situation leidet, ist schnell in einer Depression drin.