Revolutionen haben in diversen Weltgegenden unterschiedliche Namen bekommen, nach sie kennzeichnenden Besonderheiten. Für Estland (und das restliche Baltikum) war es 1987-91 die singende Revolution. Wobei das Singen schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein wesensstiftendes Merkmal der Gegend war, das bis heute im alle fünf Jahre stattfindenden Liederfest lebt. Dass auch in der Instrumentalmusik der Region dem Singen eine geradezu übermächtige Bedeutung zukommt, kann da nicht überraschen. Für Tonu Korvits sind Melodie und gesangsartige Orchesterwerke das Maß aller Dinge. Daraus erklärt sich auch leicht seine Vorliebe für Streichorchester. So ist die Hälfte der vorgestellten Werke für diese Besetzung, die andere für Symphonieorchester geschrieben. Neben Pärt, Tormis und Tüür hat Korvits einen eigenen Weg gefunden. Startend mit poetischen Klängen im neoromantischen Gewand finden sich in seinem Werk nun auch überlieferte und exotische Elemente.
Die sich weitgehend in ruhigen Bahnen entwickelnden Kompositionen aus etwas mehr als einem Jahrzehnt vor dieser Einspielung sind alle unmittelbar zugänglichen Charakters. Vielleicht ein gutes Beispiel für die Kompositionsweise von Korvits ist das fünfteilige Hymns to the Nordic Lights, bei dem kräftige Ausschläge gleich zu Beginn quasi den Höhepunkt an den Anfang stellen, bevor der letzte Satz zu einer beruhigenden und entspannenden Konklusion kommt. In Silent Songs kann der estnische Bassklarinettist Meelis Vind sein Können voll ausspielen. Mit dem Titel klingen Bezüge an Miles Davis’ In a Silent Way und damit den Jazz an. Elegies of Thule bindet als ältestes der vorgestellten Werke mehrere Volksmelodien und Spielweisen ein, deren Klang an orthodoxe Glocken erinnert.
Bei allen Werken fühlt man sich an andere estnische Tonsetzer erinnert und hört eben doch eine eigenständige Stimme. Der Solist Meelis Vind prägt natürlich die ihm zugedachte Komposition Silent Songs mit ebenso sonorem wie auch fluidem Charakter.
Das Estnische Nationale Symphonieorchester hat mit Paavo Järvi sowie Olari Elts in jüngerer Zeit namhafte Dirigenten für sich in Anspruch nehmen können, die einen spürbar guten Einfluss auf das beinahe 100-jährige Ensemble haben. Ihr Klang ist nordeuropäisch klar und schlackenfrei, aber nicht ohne Charme. Risto Joost kann als Dirigent trotz seiner jungen Jahre sowohl auf Erfahrungen als Konzert- als auch als Operndirigent verweisen. Hier gibt er den Werken die Richtung zwischen singender Linie und strukturierter Form.