Der Roman ‘Thyl Ulenspiegel’ von Charles de Coster ist die Vorlage zu der Oper von Walter Braunfels. Gut hundert Jahre hat diese Oper im Archiv der Staatsoper Stuttgart geschlummert, bevor sie wieder aufgeführt worden ist.
Vor dem Hintergrund der spanischen Inquisition in Flandern im 16. Jahrhundert sind Folter und der Tod seines Vaters der Ausgangspunkt für Ulenspiegel, um gegenüber dem Beherrscher Rache zu üben und das ängstliche Volk mitzureißen. Nachdem er die Besatzer mehrfach narren konnte, wird er gefangen genommen, kann aber befreit werden. Während seine Freundin Nele sie beide in sichere Gefilde führen möchte, will er an der Seite der Geusen, der Aufständischen, bleiben. Nach weiteren siegreichen Kämpfen bleibt nur der Anführer der Unterdrücker, sein großer Gegenspieler. Als dieser ihn erschießen will, wirft sich Nele in den Schuss und rettet ihn unter Einsatz ihres Lebens. Haben die Ereignisse ihn zum Manne reifen lassen, so schaffen sowohl der Verlust des Vaters als auch von Nele nicht, in von seinen Zielen abzulenken, er verharrt im Rachegedanken…
Der Roman ist flandrisches Nationalepos geworden. Die Oper wurde wegen schlechter Vorbereitung und Besetzung bei der Uraufführung kein Erfolg und bald abgesetzt. Erst jetzt, zum hundertjährigen Jahrestag der Oper und des Ersten Weltkrieges, hat es neue Aufführungen gegeben. Die Einspielung zeigt diejenige aus der Tabakfabrik in Linz. Als Ambiente hat die Inszenierung eine Industriebrache gewählt, in der man heutzutage osteuropäische Armutszuwanderer vermutet. Das Orchester ist auf einem Podium im Hintergrund postiert.
Neben dem Text, der nicht einem Opernlibretto gehorcht, ist ein Manko der Oper, dass sie handlungsgetrieben ist und keine Entwicklung der dahinter stehenden großen Ideen, wie Heroismus, zulässt. Diesen Subtext muss man bereits kennen, man kann ihn nicht erfahren.
Während die Unterdrücker an schwarzen Uniformen erkennbar sind, werden die Bürger ihren Professionen entsprechend ausstaffiert. Lediglich Ulenspiegel macht einen clochardartigen Eindruck.
Die sängerischen Leistungen lassen keine Wünsche offen. Insbesondere Marc Horus, der den Ulenspiegel dargestellt, glänzt mit dem mehrschichtigen Auftreten als Schelm, Sohn, Liebender und als Rächender, indem er der Rolle Naivität, Verrohung und Enthusiasmus beigibt. Christa Ratzenböck gibt der Nele die Wärme und Intensität der einzigen weiblichen Rolle. Joachim Goltz als Profoss, der große Gegenspieler Ulenspiegels, überzeugt mit herzloser Kälte, während Hans Peter Scheidegger als Vater Klas den vorsichtigen Alten verkörpert, der trotzdem sterben muss.
Das ‘Israel Chamber Orchestra’, das unter Leitung von Martin Sieghart an dieser Reihe von Aufführungen wiederentdeckter Werke entarteter Kunst beteiligt ist, widmet sich der extra eingerichteten Fassung für Kammerorchester mit Hingabe. Da selbst in dieser Version das Orchester seinen Platz behaupten kann, kann man sich vorstellen, dass die große Besetzung die Sänger streckenweise zudeckt.
Die Ausrichtung auf die Handlung wirkt auch auf die Musik, die sich nicht immer in allen Farben entspannt entfalten kann. Vielleicht liegt es auch an der Situation der Aufführung in einer ehemaligen Fabrik, dass manche Klangrelationen nicht wirklich ausgewogen beim Hörer ankommen und einiges sogar unkonzentriert und unsauber klingt.