In der Septemberausgabe 2013 von ‘Pizzicato’ hatte ich die Einspielung mit Schubert-Werken durch die bulgarische Pianistin Dora Deliyska überschwänglich gelobt und die Aufnahme mit dem Supersonic ausgezeichnet. Ich durfte also mehr als gespannt sein auf ihre neueste CD, die unter dem Titel ‘Meeresstille’ erschienen ist. Ich muss allerdings gestehen, dass meine Begeisterung weit weniger groß ist als für ihre vorherige CD.
‘Meeresstille’, das Lied von Schubert in der Transkription von Franz Liszt, gibt zwar einen schönen CD-Titel her, besagt aber wenig über die zwei entscheidenden Werke, die von Dora Deliyska eingespielt wurden: die jeweils letzte Sonate von Schubert und von Beethoven.
Ich bin beim Anhören zur Überzeugung gekommen, dass die Pianistin diese Everests der Musik zu früh bestiegen hat. Der Interpretation der beiden Sonaten fehlt die innere Reife und vor allem die über die Musik hinausreichende Vision ihrer Komponisten, die um ihr nahendes Ende wissen. Die B-Dur-Sonate D. 960 von Franz Schubert ist zwar makellos gespielt, mit schönem Anschlag, präziser Linienführung und eindrucksvoller Farbgebung, ihr fehlt aber die Dimension des Tragischen, eben des Bewusstseins um die ‘letzten Dinge’, wie es das Andante sostenuto so ungemein eindrucksvoll zum Ausdruck bringt.
Dasselbe muss von der letzten Sonate Beethovens in c-Moll, op. 111 gesagt werden. Auch hier kann man die Klangkultur nur bewundern, die Dora Deliyskas Spiel seit langem so eindrucksvoll macht. Nur: der ungeheuere Variationssatz, in dem Beethoven alle bisher gültigen Regeln und Gesetze sprengt, um sie neu zu formen, die Musik dabei in kosmische Gefilde aufsteigen lässt und sogar Jazz-Rhythmen vorwegnimmt, bleibt zu brav, schön gespielt, gewiss, aber zu brav, und die Darstellung lässt nur wenig ahnen von dem, was sich an Gewaltigem hinter dieser Musik verbirgt.
Die Bonus-DVD gibt Aufschluss über das ‘Making of’, zudem die Interpretation durch Dora Deliyska von ‘Die Wut über den verlorenen Groschen’ von Beethoven und von zwei Liszt-Transkriptionen: zu Verdis ‘Rigoletto’ und zu Wagners ‘Tristan’, und man sieht und erkennt, wie sehr gerade Liszts Musik der Pianistin zusagt.
Despite the refined playing, the performances on this disc lack maturity and above all the vision of composers who knew that their life was coming to an end.