Das Leben der Lulu, die auf dem Weg ihres gesellschaftlichen Aufstiegs ihre Männer in den Tod treibt oder umbringt, führt sie ins Gefängnis, aus dem sie mit List befreit ihren sozialen Abstieg ertragen muss. Dieser endet als Prostituierte, bis sie schließlich von Jack the Ripper ermordet wird. In aller Kürze lässt sich so der Handlungsstrang skizzieren.
Diese dreiaktige Oper mit Vorspiel wird nunmehr zumeist, auch hier, in der von Friedrich Cerha anhand des Particells vervollständigten Fassung aufgeführt. Für die Komposition sind zwei Merkmale kennzeichnend. Zum einen setzt Berg verschiedene Zwölftonreihen in der Art ein, dass jeweils einer Person eine Reihe zugeordnet ist, was man bei Wagner als Leitmovitik bezeichnen würde. Zum anderen ist die Oper als Palindrom aufgebaut, was sich in der exakten Anlage zeigt und in der Verwendung der männlichen Rollen, die im ersten Akt denen im dritten entsprechen, einschließlich der gleichen auftretenden Sänger.
Man wird ohne Übertreibung sagen können, dass die Oper durch die Vervollständigung gewonnen hat und zu den Meisterwerken des Jahrhunderts zählt.
Dmitrij Tcherniakovs Regie verwendet durchgehend ein Bühnenbild aus Glaskästen, die als Spiegel und Labyrinth funktionieren. Diese bieten in den orchestralen Zwischenspielen das Podium für Statisten, die sich paarweise verschiedenen menschlichen Aktivitäten hingeben und damit andeuten, dass die Lulu und ihre Verehrer in jedem von uns stecken. Vor und in der ersten Reihe dieser Glaswände agieren die Hauptprotagonisten.
Das Sängerensemble ist durchweg großartig, und alle Beteiligten prägen ihre Rollen sowohl sängerisch als auch als schauspielerisch. Vor allen muss Marlis Petersen als Lulu gepriesen werden. Ihre nunmehr neunte Verkörperung der Rolle zeugt davon, dass sie hier ihre Bestimmung gefunden hat zum Genuss aller Zuhörer. Die große Rollenerfahrung kommt ihrem natürlichen Agieren zugute, das ihr eine unbegrenzt scheinende Breite von Empfindungsdarstellungen erlaubt. Ihr Gesang leidet nicht durch diese sängerisch sehr fordernde Partie und wird auch nicht durch ihr schauspielerisches Engagement geschwächt oder abgelenkt und andersherum. Ihre Stimme passt sich mühelos der Darstellung ihrer Empfindungen an und wird auch nicht müde.
Das Bayerische Staatsorchester wird von seinem Chef Kirill Petrenko zu Höchstleistungen angeregt. Sein Dirigat aus punktgenauer Steuerung des Orchesters bei gleichzeitiger Entspanntheit in Kenntnis der herausragenden Qualitäten seiner Musiker schafft die Verbindung von kammermusikalischem Moment zu durchaus auch partiell spätromantischem Volumen in gelenktem, aber auch entspanntem Fließen.
Allen nicht Erwähnten wird damit Unrecht getan, aber in diesem Rahmen kann nicht jede Nuance erläutert werden. Sehen und hören Sie sich einfach diese Referenzaufnahme an.
Nicht verheimlicht sei ein böser Missgriff des Labels, der massive Bewertungsabzüge – zum Schaden der Sänger und Musiker – gerechtfertigt hätte.
Noch eine Bemerkung zur Präsentation: Solange man das Auswahlmenu auf dem Bildschirm hat, wird dieses mit Musik, immerhin aus dem Werk, unterlegt. Sowas passiert ja oft. Hier aber wird auch der Abspann der beiden DVDs musikalisch unterlegt. Wozu dieser Schwachsinn? Vor der Oper und danach möchte man die Ohren frei haben!