An dieser Gesamtaufnahme der Beethoven-Sonaten werden sich die Geister scheiden: sie wird Ablehnung wie Zustimmung in jeweils höchstem Maße kennen. Fazil Say lässt eben nicht unberührt. Seine extremen Gestaltungsmittel in der Dynamik und in den Tempi werden Widerspruch hervorrufen, aber auch auf Begeisterung stoßen. Sein Pedalgebrauch wird stören und gefallen. Seine Farben und Schattierungen sind ungewöhnlich, wie eigentlich alles an diesen Interpretationen, die er nicht selten mit ‘Gesang’ begleitet, weil die Musik bei ihm aus allen Poren dringt und die Gliedmaße nicht genügen, um diese Eruption tiefster Musikalität freien Lauf zu lassen.
In seinem Beethoven ist Say ein Pianist, der nicht die intellektuelle Brille aufsetzt, und sich kein Deut darum schert, ob er gefällt oder anstößt, der zwanglos seinen inneren musikalischen Trieben gehorcht. Mit häufigen dynamischen Wechseln in einem sehr gestischen Spiel mit manchmal erstaunlichen Beschleunigungen und oft heftigen Akzenten vermittelt er Dramatik und Unruhe. Sehr oft aber zeichnet er einen gutgelaunten, augenzwinkernden Beethoven. Vieles wird so neu gewichtet, umgeschichtet und gedeutet, dass die Kontraste absolut überwältigend klingen.
Wenn ich etwas an dieser Gesamtaufnahme wirklich mag, ist es die Ursprünglichkeit und die Spontanität in Says Spiel, auch wenn hie und da nicht alles besonders klar und sauber klingt. Auch eine gewisse Portion an Show ist in diesen oft extremen Interpretationen enthalten, aber man wird nicht leugnen können, dass Says gestalterische Freiheit einem spürbaren Künstlerwillen entspringt. Dagegen ist Pollini ein Plüschtier und Gilels ein ausgestopfter Grizzlybär.