Er ist ein aufgehender Stern am internationalen Pianistenhimmel: Francesco Tropea. Über sein ungewöhnliches CD-Debüt mit selten zu hörenden Bachstücken bei Prospero und seinen künstlerischen Werdegang befragte ihn Beatrice Ballin.

Francesco Tropea
(c) Victor Marin

Sie haben auf Ihrer CD seltene, frühe Sonaten von Johann Sebastian Bach eingespielt. Wie sind Sie auf diese aufmerksam geworden?
Im Jahr 2020 war ich in der Bibliothek des Mozarteums in Salzburg auf der Suche nach einem Stück aus der Barockzeit für meine Abschlussprüfung. Ich wollte etwas Besonderes finden und stieß auf mehrere Sonaten in vier verschiedenen Bänden. Ich entschied mich dann für die Sonate BWV 965, denn ich war sehr überrascht, dass das Stück Sätze mit so unterschiedlichem Charakter enthält: einerseits langsame, freie und ausdrucksstarke Sätze, andererseits kraftvolle und rhythmische, sogar eine Fuge.

Bemerkenswert an Ihrer Einspielung ist zudem, dass nur eine der Sonaten gänzlich von Johann Sebastian Bach geschrieben wurde. Was ist mit den anderen Stücken?
Genau, bisher kann man sagen, dass nur ein einziges Stück, die Sonate BWV 963, vollständig von Bach konzipiert wurde, d.h. es besteht kein Zweifel, dass er der Komponist ist und dass das Stück authentisch für Tasteninstrumente geschrieben wurde. Neben der Sonate BWV 963 gehören die Sonate BWV 967, bei der es sich entweder um ein authentisches Stück für Tasteninstrumente oder um eine Transkription eines Stückes von Tomaso Albinoni handeln könnte, und die beiden Sonaten BWV 965 und 966, Transkriptionen von zwei Sonaten aus Johann Adam Reinckens Sammlung Hortus Musicus für zwei Violinen, Gambe und Basso continuo, zu den Werken, bei denen man mit Sicherheit von Bach als Komponist ausgehen kann. Bei den Sonaten BWV 964 und 968 handelt es sich um Transkriptionen für Tasteninstrumente der Violinsonaten BWV 1003 bzw. 1005, doch lassen gewisse stilistische Eigenheiten, vor allem hinsichtlich des harmonischen Reichtums, vermuten, dass der Komponist nicht Johann Sebastian, sondern Wilhelm Friedemann Bach ist. Bei den Sonaten BWV 969 und 970, für die bisher noch keine Klaviereinspielung vorliegt, bestehen Zweifel an der Urheberschaft und ob sie für Tasteninstrumente komponiert wurden; es könnte sich um Transkriptionen von Werken für andere Instrumente handeln.

Sie schreiben in dem CD-Booklet, dass die Präludien der Sonaten BWV 964, 965, 966, das Andante der Sonate BWV 964 und die Sonate BWV 968 mit den zweiten Satz des Italienischen Konzerts vergleichbar sind. Wie sehen Sie diese Stücke im Vergleich zu den Englischen und Französischen Suiten von Bach?
Genau, meine Behauptung bezieht sich vor allem auf den Charakter der italienischen Fantasia und des Recitativo sowie des Arioso, das im zweiten Satz des Italienischen Konzerts vorkommt. Im Allgemeinen beziehe ich mich auf ausdrucksvolle Sätze, die einen freien, improvisatorischen Charakter haben, mit einer sehr gesanglichen, gut ausgeprägten melodischen Linie und einer einfachen, akkordischen oder ostinaten Bassbegleitung. Dies unterscheidet sich von den kompositorischen Aspekten der Französischen und Englischen Suiten, die mit ihren Tanzsätzen einen viel rhythmischeren, lebhafteren, ich würde sagen, horizontalen und direktionalen Charakter aufweisen, sowie eine allgemein größere dialogische und kontrapunktische Präsenz der Stimmen.

Francesco Tropea (c) Victor Marin

Sie haben für die Aufnahme einen Steinway B Flügel aus dem Jahr 1975 gewählt. Was hat Sie dazu veranlasst?
Die Vintage-Ästhetik der gesamten Produktion, worum sich der Tonmeister Giacomo Papini kümmerte. Die Idee hinter dem Projekt war, ein Instrument zu finden, dessen Klang weniger modern und kraftvoll ist als die heutigen Klaviere, das aber dennoch ein Vintage-Timbre und fortepianistische Tendenzen aufweist, und das über besondere Ausdruckseigenschaften verfügt, die zu dem Saal aus dem achtzehnten Jahrhundert mit seinen hohen Wänden und seinem großen Hall passen, in dem die Aufnahmen aufgeführt wurden.

Um beim Thema Klavier zu bleiben: Zu Bachs Zeiten spielte man die Sonaten auf dem Cembalo. In der heutigen Aufführungspraxis ist es gang und gäbe, Bachsonaten auf dem Klavier zu spielen. Worin sehen Sie persönlich die Vorteile einer Bachinterpretation auf dem Klavier?
Ich persönlich sehe im Klavier die Möglichkeit, die menschliche Seite der Musik Bachs zum Ausdruck zu bringen, da es ein Instrument ist, das über einen großen Reichtum an Klangfarben und große dynamische Möglichkeiten verfügt. Es gibt zahlreiche Berichte, dass Bach unter den Tasteninstrumenten seiner Zeit das Clavichord liebte, ein Hausinstrument, das für kleine Räume geeignet war und einen intimeren Klang als das Cembalo hatte. Im Vergleich zum Cembalo erlaubt das Klavichord leichte dynamische Schwingungen und ist reich an Ausdrucksmöglichkeiten durch das Vibrato, die so genannte Bebung, d.h. kleine Mikrodrücke auf den Tasten, durch die der Spieler den Klang zum Schwingen bringen kann. Ausgehend von dieser Idee und der Bedeutung des Klavichords für Bach kann man sich vorstellen, wie seine Musik auf dem Klavier wiedergegeben werden kann.

Sie sind im sonnigen Kalabrien aufgewachsen, haben im toskanischen Fiesole studiert und kürzlich Ihren Master im Mozarteum Salzburg gemacht? Wie fühlt man sich als Italiener im kühlen und doch oft sehr nassen Norden? Oder seriöser gefragt: Wie unterscheidet sich das Musikstudium in Salzburg von dem in Italien?
Zu viel Kälte, zu viel Regen, aber auch Schnee, den ich als Kind selten gesehen habe, und mehr Stille, die in der Musik wichtig ist. Salzburg ist eine Stadt mit einem sehr hohen kulturellen Niveau, vor allem auf musikalischer Ebene, so dass man überall Musik atmen kann, und es ist sicher eine der Städte, in denen sich Musiker aus der ganzen Welt treffen und treffen wollen, in der sie studieren, um die höchsten Standards in Technik, Interpretation und künstlerischer Präsenz zu erreichen. Es ist auch eine Stadt, in der Kammermusik und Alte Musik einen hohen Stellenwert haben.
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen der deutschsprachigen und der italienischen Ästhetik, so wie es auch Unterschiede zwischen den beiden Sprachen gibt, mit unterschiedlichen grammatikalischen Regeln und Klangfarbe. In meinem Fall denke ich, dass sich diese Unterschiede auch in der Art und Weise widerspiegeln, wie ich Musik im Allgemeinen sehe, und dass ich in gewisser Weise einen Kompromiss zwischen der großen deutschen Präzision und der großen italienischen Ausdruckskraft gefunden habe.

Ist Tropea Ihr tatsächlicher Familienname oder ein Künstlername?
Das ist mein tatsächlicher Familienname und zufällig auch der Name einer berühmten Küstenstadt in Kalabrien, etwa 100 Kilometer von meinem Geburtsort entfernt, die in meiner Kindheit ein wichtiges Sommerziel war. Die Küste und das Meer mit seiner Transparenz und seiner intensiven blauen Farbe sind immer in meinem Herzen und drücken einen wichtigen Teil von mir aus.

In Deutschland weiß man bislang leider noch sehr wenig über Sie. Deshalb: Wann haben Sie mit dem Klavierspiel begonnen und wie verlief Ihr musikalischer Werdegang?
Im Alter von 6 Jahren begann ich mit dem Klavierunterricht, obwohl ich schon vorher zu Hause ein Keyboard in die Hand nahm und darauf improvisierte. Ich studierte am Musikkonservatorium in Cosenza, Kalabrien, wo ich 2015 meinen Master in Klavier erhielt, dann an der Scuola di Musica di Fiesole, wo ich Klavier und Kammermusik weiter studierte, an der Accademia di Musica di Pinerolo – ebenfalls Klavier – und schließlich am Mozarteum in Salzburg, wo ich 2021 meinen zweiten Master in Klavier erhielt und 2023 das Postgraduierten-Zertifikat. Außerdem habe ich 2021 am Conservatorio della Svizzera Italiana in Lugano das Certificate in Advanced Studies in Konzertimprovisation für Klavier im klassischen Bereich abgeschlossen.
Ich möchte sagen, dass die fantastische Welt der Improvisation unbegrenzte künstlerische Möglichkeiten bietet: Vor allem, weil man zum spontanen Erfinder von Musik wird, die sich nie auf die gleiche Weise wiederholen kann und meine kompositorischen Forschungen haben mich dazu bewogen, das Thema zu vertiefen und mich für den Masterstudiengang Klavierimprovisation an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart einzuschreiben. Apropos Improvisation: In den Sonaten habe ich gelegentlich versucht, den melodischen oder virtuosen Charakter durch spontan gespielte Verzierungen, improvisierte Arpeggien und sogar durch die Improvisation einer längeren Kadenz in der Coda des ersten Stücks auf der CD, der Sonate BWV 967, zu verstärken.

Sie verfügen über ein großes Repertoire, das chronologisch über die Jahrhunderte von Bach bis Schostakowitsch reicht. Gibt es einen Komponisten, den sie am liebsten interpretieren?
Es gibt viele: Neben Bach liebe ich Mozart und seine Musik voller kindlicher Freude und Leidenschaft, dann Chopin und den Menschen, der sich in seiner Musik verbirgt. Auch der frühe Scriabin und der frühe Szymanowski – beide können mich in eine wunderbare Welt entführen. Und schließlich die Tiefe und Mystik des späten Schubert und des späten Beethoven.

Haben Sie konkrete Konzertpläne für die nähere Zukunft?

Für die nahe Zukunft ist mein erstes Ziel, das Programm meiner CD in Konzerten zu spielen, um dem Publikum diese fantastischen, bisher unbekannten Schätze vorzustellen. Außerdem werde ich reine Improvisationskonzerte geben, bei denen ich spontan ein Programm mit Stücken vom Barock bis zum Expressionismus zusammenstelle. Schließlich plane ich Kammermusikkonzerte und Konzerte für Klavier und Orchester mit improvisierten Kadenzen.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie.

Ausdrucksvoll gespielte Bach-Klavierwerke

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