Amleto, also Hamlet, ist eine lyrische Tragödie in vier Akten, die der italienische Komponist Franco Faccio (1840-1891) zu der Tragödie von William Shakespeare komponierte. Das Libretto stammt vom Komponisten und Librettisten Arrigo Boito. Die Handlung kann als bekannt angesehen werden. Boito und Faccio kürzten das Drama für die Oper deutlich und strafften den Inhalt, achteten aber sorgfältig darauf, am Original zu bleiben. Mit diesem Werk schufen sie einen neuen Stil der italienischen Oper, bei dem Text und Musik gleichberechtigt bestehen.
Faccio konzentriert vieles und macht das Werk so bündig, knapp und schlagkräftig. Vor allem ab dem dritten Akt steigert sich das Werk in einer Abfolge zu einer Dichte, die im vierten Akt mit dem Yorick-Monolog Hamlets, jenem Trauermarsch, der als einziges Stück der Oper bis heute in Korfu als Ostersamstagmusik gespielt wird, überlebt hat.
Dass Faccio nach dieser Oper keine Note mehr veröffentlichte und nur noch als Dirigent auftrat, – etwa bei der Uraufführung von Verdis Otello an der Scala oder bei Erstaufführungen der Verdi Opern Aida, La Forza del Destino (neue Fassung) oder Don Carlo sowie der Meistersinger von Wagner – lag daran, dass der Solist des Hamlet indisponiert war und die Oper sozusagen ohne Hamlet über die Rampe ging. Deshalb blieb die Oper danach bis in unser Jahrzehnt vergessen. Von der europäischen Neu-Erstaufführung bei den Festspielen in Bregenz legt Naxos nunmehr die CD vor, nachdem die DVD bereits 2016 erschienen war. Legt man die Messlatte an diese Aufnahme, so ist das Sein dem Nichtsein vorzuziehen.
Dieses Werk ist aller Ehren wert und die Wiederbelebung war überfällig. Diese Vertonung des Stoffs ist, anders als die Lyrique-Version von Ambroise Thomas, musikalisch tragfähig und dank der Nähe zu Shakespeare literarisch hochanständig. Sie ist unsentimental, dazu mit Brio aufgeladen. Gleichzeitig ist sie eine Botschaft des ‘nuovo melodramma’ von den Reformern der Scapigliatura in Richtung Verismo, für den sie der Startpunkt war.
Der gequälte Hamlet von Tenor Pavel Cernoch wird mit untadelig starker und trotzdem geschmeidiger Stimme hervorragend herüberbracht. Seinem ‘To be not to be’ folgt ein wunderschön gesungenes und berührendes Duett mit der Ofelia von Iulia Maria Dan. Während des Werkes steigt sozusagen die emotionale Verstrickung enorm und mit der überzeugend ausgedrückten Reue des Königs, einem grandiosen Duett zwischen Hamlet und seiner Mutter Gertrude, gesungen von Dshamilja Kaiser, und einer fabelhaft gesungenen Arie, wenn sie ihre Schuld zugibt, entwickelt sich das Stück. Die Königin, von Verblendung und Reue rasend, singt mit Verve und Schmelz.
Für Faccio und Boito gibt es nur eine Sicht: Diese Königin ist schuldig wie Lady Macbeth. Sie wusste von dem Mordkomplott und sie hat ihn betrieben. Dadurch wird sie zu einer Hauptperson, die Ofelia beiseiteschiebt. Im sich aufbäumenden Duett mit ihrem Sohn, das sich zum Terzett weitet, als der tote König dazukommt, ist einer der Höhepunkte des Stücks; und das hört man auch.
Der Geist des alten Hamlet, der brummende Bass Gianluca Buratto, ein kraftvolles Gebet für Claudio Sguras schmierigen Claudius und eine dramatische Gertrude vom Mezzo Dshamilja Kaiser sowie der eloquente Laertes von Paul Schweinester, der gut zum dramatischen Abschlussduell beiträgt, vervollständigen das Tableau.
Mit diesen zumeist jungen Sängern, auch in den kleineren Rollen ausgezeichnet besetzt, ist das Ensemble zu einer großen Einheit verschmolzen, die eine ganz einfach makellos überzeugende Lösung anbietet, die manche Stargruppe, die dann möglicherweise noch ausgereifter singen könnte, erst einmal nachmachen muss.
Großer Dank gebührt Paolo Carignani und den bestens aufgelegten Wiener Symphonikern, die das alles zum Klingen und erfahrbar machten. Und auch der Chor aus Prag lässt sich mit anschmiegsamer Ensemblekultur einbinden.
Im großen Duell zwischen Hamlet und Laertes ächzt der Chor dazwischen, klagt die Königin, dröhnt und giftet der König. Dieses ist ein Beispiel für genial komponierte Ensembles, in denen Faccio Handlung und Affekt verbindet und aus der Nummernfolge ausbricht. Kurz gesagt, Amleto ist in der Tat ein sehr schönes Werk, und diese Bregenzer Produktion stellt auch ohne Bilder eine große Wiederentdeckung der Oper dar. Die Technik hat bis auf kleinste Schwächen die Riege der Solisten gut eingefangen und ein strukturiertes und gut durchleuchtetes Klangbild geschaffen.